Allgemeines Erbstatut nach der EuErbVO
Im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) bestimmt sich das auf die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der EuErbVO anzuwendende Recht im Grundsatz nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers.
Wichtig: Die EuErbVO gilt nicht für Steuersachen (Art. 1 Abs. 1 EuErbVO). Daher hat eine Rechtswahl keinen Einfluss auf das Besteuerungsrecht eines Staates. Zur Ermittlung der Steuerpflicht verweisen wir auf den Beitrag Erbschaftssteuer: Unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland.
Allerdings hat der Erblasser in einem beschränkten Maß auch die Möglichkeit zur Rechtswahl.
Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO
Gemäß Art. 22 EuErbVO kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie
- im Zeitpunkt der Rechtswahl oder
- im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Maßgebliche Staatsangehörigkeit
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person für Zwecke der Rechtswahl hat, richtet sich nicht nach der EuErbVO, sondern nach dem Recht desjenigen Staates, dessen Staatsangehörigkeit in Frage steht, d.h. z.B. das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) für die deutsche Staatsangehörigkeit.
Bei mehrfachen Staatsangehörigkeiten kann der Erblasser das Recht einer seiner Staatsangehörigkeiten wählen (Art. 22 Abs. 2 EuErbVO).
Staaten mit mehreren Gebietseinheiten
Wird bei der Erklärung der Rechtswahl auf das Recht eines Staates, der mehrere Gebietseinheiten umfasst (Mehrrechtsstaat), Bezug genommen, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind (vgl. Art. 36 Abs. 2 lit. b) EuErbVO).
Beispiel: Der Spanier Jorge Martinez wählt in seinem Testament das "spanische Recht". Spanien ist ein Mehrrechtsstaat. Nach seinen internen Kollisionsvorschriften ist das Recht der spanischen Gebietseinheit anzuwenden, deren Gebietszugehörigkeit (vecinidad civil) der Erblasser hat (wenn der Erblasser Spanier war). Hat Jorge Martinez die vecinidad civil von Katalonien, hat er folglich das Recht von Katalonien gewählt.
Hat der Staat keine internen Kollisionsvorschriften, ist das Recht der Gebietseinheit anzuwenden, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte (vgl. Art. 36 Abs. 2 lit. b) EuErbVO).
Beispiel: Der Kanadier, Jeffrey Smith wählt in seinem Testament das "kanadische Recht". Kanada ist ein Mehrrechtsstaat. Da Kanada keine Kollisionsvorschriften hat, kommt das Recht der Gebietseinheit zur Anwendung, zu der Jeffrey Smith die engste Verbindung hatte.
Wählt der Erblasser eine Teilrechtsordnung, die nicht nach Art. 36 Abs. 1 oder Abs. 2 lit. b gewählt werden kann, ist zu prüfen, ob im Wege der Auslegung der Wille ermittelt werden kann, dass ein anderes Recht gewählt sein soll.
Zulässigkeit der Teilrechtswahl
Eine Teilsrechtswahl ist unzulässig. Daher ist z.B. eine Rechtswahl betreffend das Vermögen in einem Staat ("Ich wähle für mein Vermögen in Deutschland....") unwirksam. Unzulässig ist auch eine Rechtswahl betreffend bestimmte Rechtsfragen ("Betreffend den Pflichtteil wähle ich das Recht von ...").
Hinweis: Der wahre Wille des Testators ist zu ermitteln. Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass tatsächlich eine unbeschränkte Wahl gewollt war, kann daher unter Umständen ein unglücklich formulierte Rechtswahl noch durch Testamentsauslegung "gerettet" werden.
Bedingte Rechtswahl
Zulässig ist die bedingte Rechtswahl, z.B. für den Fall, dass man zum Zeitpunkt des Todes die gewählte Staatsangehörigkeit erworben hat.
Erklärung der Rechtswahl
Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer letztwilligen Verfügung ergeben (Art. 22 Abs. 2 EuErbVO).
Oftmals erfolgt eine ausdrückliche Rechtswahl ("ich wähle betreffend die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen des Recht von .... als das Recht meiner Staatsangehörigkeit").
Wurde das Recht nicht ausdrücklich gewählt, ist zu prüfen, ob sich die Rechtswahl "aus den Bestimmungen einer letztwilligen Verfügung" ergibt, mithin die Wahl des Heimatrechts durch Auslegung des Willens des Erblassers ergibt. Dies Frage ist unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetisch gewählte Recht zu beurteilen (BGH, Beschl. v. 24.2.2021 – IV ZB 33/20).
Für die konkludente Wahl einer bestimmten nationalen Rechtsordnung kann es insbesondere sprechen, dass der Erblasser Begriffe oder Rechtsinstitute verwendet, die gerade in dieser Rechtsordnung spezifisch sind (BGH, Beschl. v. 24.2.2021 – IV ZB 33/20).
Beispiel 1: Der Erblasser ist Engländer und bestimmt einen Nachlassabwickler (executor).
Beispiel 2: Der Erblasser und sein Ehegatte haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien und errichten ein gemeinschaftliches Testament.
Die Verwendung eines rechtlichen Ausdrucks, der für das möglicherweise gewählte Recht nicht spezifisch ist, genügt für sich nicht für eine konkludente Rechtswahl.
Beispiel: Ein Spanier mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland bestimmt in einem spanischen notariellen Testament einen "heredero" (Erben).
Ferner kann die Form der Errichtung für eine Rechtswahl sprechen.
Beispiel: Ein Deutscher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Spanien errichtet ein eigenhändiges Testament.
Die verwendete Sprache kann ein Indiz für das anwendbare Recht sein. Die Verwendung einer bestimmten Sprache für sich genügt allerdings nicht für eine konkludente Rechtswahl.
Die Staatsangehörigkeit muss bei der Rechtswahl nicht zwingend konkret bezeichnet werden, sondern kann auch abstrakt beschrieben werden (z.B. „es soll das Recht meiner Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt meines Todes anzuwenden sein“). Hat der Erblasser allerdings mehrere Staatsangehörigkeiten, kann eine abstrakte Beschreibung zu Rechtsunsicherheit (welche der beiden Staatsangehörigkeiten ist gemeint?) und im Einzelfall Unwirksamkeit der Rechtswahl führen (wenn die gemeinte Staatsangehörigkeit nicht durch Auslegung zu ermitteln ist).
Fingierte Rechtswahl
Wurde eine Verfügung von Todes wegen vor dem 17. August 2015 "nach dem Recht" errichtet, welches der Erblasser nach der EuErbVO hätte wählen können, so gilt dieses Recht als das auf die Rechtsfolge von Todes wegen anzuwendende gewählte Recht (Art. 83 Abs. 4 EuErbVO).
Ausgeschlossen soll die Fiktion der Rechtswahl sein, wenn der Erblasser (etwa für Vermögen in verschiedenen Staaten) mehrere Verfügungen von Todes wegen getroffen hat und der Erblasser nur eine dieser Verfügungen nach seinem Heimatrecht errichten wollte.
Anders als bei der Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO wird es zum Teil für möglich gehalten, dass sich aus einer Verfügung von Todes wegen, die auf einen Staat beschränkt ist, eine fiktive Rechtswahl ergibt. Wir sind der Auffassung, dass dies im Widerspruch zur Wertung des Art. 22 EuErbVO steht.
Rechtswahl nach ausländischem Recht
Verweist die EuErbVO auf das Recht eines Drittstaates (z.B. USA, UK) und gibt es nach dem Recht dieses Staates die Möglichkeit zur Rechtswahl (z.B. USA betreffend die Wirkungen eines testamentary trust), so ist diese Rechtswahl im Grundsatz auch aus deutscher Sicht anzuerkennen. Ist hingegen aus deutscher Sicht nicht das Recht eines Drittstaates anzuwenden, ist eine Rechtswahl nach dem Recht eines Drittstaates aus Sicht Deutschlands unwirksam.
Hinweis: Ist die Rechtswahl aus deutscher Sicht unwirksam, stellt sich die Frage, wie das Recht durchgesetzt werden kann, wenn Vermögen in dem Drittstaat belegen ist. Im Einzelfall kann es auch entscheidend sein, in welchem Gericht man Klage erhebt (sog. Forum Shopping).
Rechtswahl und Pflichtteil
Kennt das gewählte Recht keinen Pflichtteil, ist das ausländische Recht nach zum Teil in der Literatur vertretener Auffassung wegen Verstoßes gegen die deutsche Öffentliche Ordnung (ordre public) nicht anzuwenden (sondern das deutsche Recht) und der Pflichtteilsberechtigte kann den deutschen Pflichtteil verlangen.
Dieser Auffassung hat sich nun auch das OLG Köln angeschlossen und hat mit Urteil vom 22.04.2021, Az 24 U 77/20 entschieden, dass englisches Recht betreffend den Pflichtteil wegen Verstoßes gegen den deutschen Ordre Public nicht anzuwenden ist, wenn ein Brite mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland nach Art. 22 EuErbVO das britische Recht wählt. Die Revision zum BGH wurde zugelassen und es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung Bestand hat. Uns erscheint es zweifelhaft, dass das deutsche Grundgesetz die Nichtanwendung des englischen Rechts im entschiedenen Fall tatsächlich gebietet. Da die - im anderen Kontext - ergangene Entscheidung des BVerfG allerdings einen sehr umfangreichen Schutz postuliert, wird möglicherweise erst eine weitere Entscheidung des BVerfG letzte Klarheit bringen. Einstweilen sollten sich Betroffene nicht auf die Wirksamkeit einer Rechtswahl verlassen und auch prüfen, welche anderen Möglichkeiten es zur Reduzierung des Pflichtteils es gibt (siehe hierzu auch den Beitrag Pflichtteil und Vermeidung des Pflichtteils).
Ferner ist anzumerken, dass es auch Fälle gibt, in denen mangels hinreichenden Inlandsbezugs die Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO wohl auch unter Zugrundelegung des Urteils des OLG Köln wirksam wäre. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn deutsches Recht nur Kraft Rückverweisung aus dem Recht von England und Wales (oder einem anderen common law Staat), z.B. betreffend unbewegliches Vermögen (immovables) in Deutschland, zur Anwendung kommt.