Auslegung der Schlusserbeneinsetzung für den Fall des gleichzeitigen Versterbens

OLG München 31. Zivilsenat hat mit Beschluss vom 24.10.2013, 31 Wx 139/13 entschieden, dass die Kombination einer "Schlusserbeneinsetzung" mit Einräumung einer Abänderungsbefugnis zugunsten des überlebenden Ehegatten bei ausdrücklicher Anordnung der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen dafür spricht, dass die Ehegatten die Formulierung "für den Fall gleichzeitigen Versterbens" nicht im Wortsinn verwendet haben, sondern den Fall des zeitlich nacheinander Versterben geregelt haben.

Der Fall:

Die Erblasserin (E) verstarb am 23.12.2012 im Alter von 87 Jahren. Sie war verheiratet mit X, der bereits am 11.1.2009 verstorben war. Aus der Ehe gingen keine gemeinsamen Kinder hervor. Der X hatte allerdings einen Sohn aus erster Ehe, K 1.

E und X hatten ein gemeinschaftliches Testament mit folgendem Inhalt errichtet:

Gemeinschaftliches Testament. (...) Wir setzen uns hiermit gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Erben ein. Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann über das beiderseitige Vermögen in jeder Weise frei verfügen. Für den Fall des gleichzeitigen Versterbens bestimmen wir hiermit als unseren Schlusserben: K 1. Sämtliche in diesem Testament niedergelegten Verfügungen sind wechselbezüglich. Sie können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden. Nach dem Tode eines Teils von uns soll aber der überlebende Teil berechtigt sein, einseitig dieses Testament zu ändern.

K 1 beantragte einen Erbschein, der ihn als Alleinerbe ausweist. Zu klären war somit die Frage, ob die Schlusserbeneinsetzung des K 1 als Alleinerbe nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens gewollt war oder auch im vorliegenden Fall. 

Das Gericht erteilte K 1 einen Alleinerbschein und begründete dies wie folgt: 

Das gemeinschaftliche Testament ist insofern auslegungsbedürftig, da die Eheleute keine ausdrückliche Regelung für den Fall getroffen haben, dass die Ehegatten im zeitlichen Abstand versterben. Der Beschwerdeführer sollte nach dem Wortlaut des Testaments im Fall des gleichzeitigen Versterbens "Schlusserbe" sein. Eine solche Erbenstellung ist aber nur dann gegeben, wenn der vorversterbende Ehegatte zunächst durch den anderen beerbt wird und bei dessen Ableben der von den beiden Ehegatten gemeinsam bestimmte Erbe die Rechtsnachfolge des überlebenden Ehegatten antreten soll. Bei der Einsetzung eines Schlusserben soll nach dem gemeinsamen Willen der Ehegatten das beidseitige Vermögen nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten als eine Einheit an einen Dritten fallen (vgl. dazu näher NK-Erbrecht/Gierl 3. Auflage <2010> § 2269 Rn. 11 ff). Insofern ist nicht eindeutig, ob die Ehegatten allein eine Erbeinsetzung bei ihrem zeitgleichen Ableben treffen wollten oder sie damit - auch - den Fall geregelt haben, dass sie nacheinander in erheblichem zeitlichen Abstand versterben.

b) Es ist daher im Wege der (erläuternden) Testamentsauslegung der wirkliche Wille der Ehegatten zu erforschen. Diese soll klären, was ein Erblasser mit seinen Worten sagen wollte und nicht etwa einen von der Erklärung losgelösten Willen ermitteln. Grundsätzlich ist bei nicht eindeutigem und daher auslegungsbedürftigem Testamentswortlaut gemäß §§ 133, 2084 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Vielmehr ist der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergab, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGHZ 86, 45; NJW 1993, 256). Ein Abweichen vom Wortsinn setzt allerdings voraus, dass Umstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Erklärende mit seinem Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 80, 246; BayObLG FamRZ 1986, 835). Bei gemeinsamen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament ist für jede zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Testierenden mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen entsprochen hat, wobei der übereinstimmende Wille zur Zeit der Testamentserrichtung maßgebend ist (BGHZ 112, 229/233).

c) Die Formulierungen „bei gleichzeitigem Ableben“ oder „bei gleichzeitigem Versterbens“ werden in der neueren Rechtsprechung über den strengen Wortsinn hinaus - nach dem nur der Fall geregelt wäre, in dem die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde den Tod finden (vgl. BayObLGZ 1996, 243/247) - so ausgelegt, dass sie auch noch Fallgestaltungen betreffen, in denen von einem „gleichzeitigen Tod“ nur im weiteren Sinne die Rede sein kann, in denen aber im Hinblick auf den Sinn einer derartigen Regelung praktisch kein Unterschied zum gleichzeitigen Tod der Ehegatten im engeren Sinne besteht.

Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, bezwecken damit, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass er über das Gesamtvermögen - auch von Todes wegen - frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann für den Fall des „gleichzeitigen Todes“, in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen - und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten - kommt. Dieser Regelungsbedarf besteht nicht nur für den Fall des in engerem Sinn gleichzeitigen Todes, sondern auch in Fällen, in denen die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander sterben, sei es aufgrund ein und derselben Ursache, z.B. eines Unfalls, sei es aufgrund verschiedener Ursachen, wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten. In diesem Fall des Versterbens kurz nacheinander würde zwar die gegenseitige Erbeinsetzung greifen, doch hinge es vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob - wenn keine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen wurde - den gesetzlichen Erben des Ehemannes oder den gesetzlichen Erben der Ehefrau das gesamte Vermögen beider Eheleute zufließt. Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine zusätzliche Regelung jedenfalls für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist. Auf diese Fallgestaltung wollen Ehegatten mit der Verwendung von Formulierungen wie „bei gleichzeitigem Ableben“ die Erbeinsetzung des Drittbedachten regelmäßig beschränken und so dem Überlebenden von ihnen die Bestimmung überlassen, wer ihn beerben soll (vgl. BayObLG FGPrax 2004, 80/81 m.w.N.; Reimann/Bengel/ J.Mayer § 2269 Rn. 20; Palandt/Weidlich BGB 72. Auflage <2013> § 2269 Rn. 9).

Eine für den Fall des „gleichzeitigen Versterbens“ getroffene Erbeinsetzung gilt deshalb grundsätzlich nicht für den Fall, dass die Ehegatten nacheinander - in erheblichen zeitlichen Abstand - versterben. Eine Ausnahme hiervon kann nur angenommen werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden den Begriff des "gleichzeitigen Versterbens“ bzw. "gleichzeitigen Ablebens“ entgegen dem Wortsinn dahin verstanden haben, dass er auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, und wenn sich darüber hinaus eine Grundlage in der vorliegenden Verfügung von Todes wegen findet (vgl. dazu OLG München FamRZ 2008, 921; NJW-RR 2011, 444).

d) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Senat der Auffassung, dass dem gemeinschaftlichen Testament Umstände entnommen werden können, die darauf hindeuten, dass die Ehegatten durch die Formulierung "für den Fall des gleichzeitigen Versterbens" den Fall, dass sie nacheinander - in erheblichen zeitlichen Abstand - versterben, geregelt haben:

Die Ehegatten haben ausdrücklich unmittelbar nach Einsetzen des Beschwerdeführers als "Schlusserbe" die Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen angeordnet, jedoch bei Überleben eines der Ehegatten eine Abänderungsbefugnis zu dessen Gunsten bestimmt. Ein solche Befugnis gibt nur dann Sinn, wenn ein Ehegatte - entgegen dem eigentlichen Sinn der "Gleichzeitigkeitsklausel" (s.o.) - den anderen überlebt und dieser nach der Vorstellung der Ehegatten noch die Möglichkeit hat, in Bezug auf die wechselbezügliche und damit bindende Verfügung zugunsten des "Schlusserben" anders zu verfügen. Bei einer Verwendung der Formulierung "gleichzeitig" im Wortsinn wäre aber für die Anordnung einer Abänderungsbefugnis keine Notwendigkeit gegeben. Zudem haben die Ehegatten in Bezug auf den Bedachten die Formulierung "Schlusserbe" verwendet, die nach ihrem Wortsinn ebenfalls voraussetzt, dass vor Anfall des Nachlasses zugunsten des Bedachten bereits ein Erbgang zugunsten des überlebenden Ehegatten erfolgt ist. Dies wäre bei einem "gleichzeitigen Versterbens" gerade nicht der Fall (s.o.). In der Gesamtschau der von den Ehegatten getroffenen Verfügungen und Formulierung, liegt es daher näher, dass die Ehegatten den Fall eines nacheinander Versterbens in (erheblichem) zeitlichen Abstand geregelt haben.

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