BGH, Urteil vom 11.03.2015 - IV ZR 400/14
Sachverhalt
Die seit 1997 an Alzheimer-Demenz erkrankte Erblasserin wurde 2002 nach einem Krankenhausaufenthalt in ein Alten- und Pflegeheim verlegt. Im Jahr 2003 erhielt sie eine PEG-Sonde (Magensonde), über die ihr Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente zugeführt wurden. Sie verließ das Krankenzimmer in der Folgezeit nicht mehr. Eine verbale Kommunikation mit ihr war nicht mehr möglich. Ihr Ehemann wurde zu ihrem Betreuer bestellt und besuchte sie regelmäßig. Am 9.2.2012 durchtrennte der depressive Ehegatte mittels einer mitgebrachten Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde der Erblasserin und widersprach einer erneuten Verbindung, nachdem das Pflegepersonal seine Handlung entdeckt hatte. Dem Pflegepersonal gelang es jedoch, die Verbindung zu reparieren. Die Erblasserin verstarb einen Monat später an einer Lungenentzündung, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Tat des Beklagten stand.
Die Verstorbene hinterließ drei erwachsene Kinder. Einer der Söhne klagte auf Feststellung der Erbunwürdigkeit seines Vaters, der auf Grund eines Ehegattentestaments zum Alleinerben der verstorbenen Mutter eingesetzt war.
Aus dem Urteil
1. Gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist unter anderem erbunwürdig, wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht hat. Die Geltendmachung der Erbunwürdigkeit erfolgt durch Anfechtung des Erbschaftserwerbs im Wege der Anfechtungsklage gemäß §§ 2340, 2342 BGB. (...) a) Die Vorschrift erfasst auch den Fall der versuchten vorsätzlichen Tötung, den der Gesetzgeber - anders als noch im ursprünglichen Entwurf vorgesehen - der vollendeten Tötung gleichgestellt hat (...). Unter den Begriff der vorsätzlichen und widerrechtlichen Tötung im Sinne des Strafrechts fallen Taten gemäß §§ 211, 9 10 - 7 - 212 StGB (...) Hier ist der Beklagte wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall gemäß §§ 212, 213, 21, 22, 23 StGB verurteilt worden. Bei § 213 StGB handelt es sich nach herrschender strafrechtlicher Auffassung nicht um einen eigenständigen Tatbestand, sondern lediglich um eine Strafzumessungsregel (...). Nicht erfasst von den strafrechtlichen Tötungsdelikten i.S. des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird lediglich die Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB (...). Dies rechtfertigt sich aus der Wertung des § 2343 BGB, weil eine Tötung auf Verlangen ebenso zu behandeln ist wie die Verzeihung, die ebenfalls die Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit ausschließt. Hier liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen eine Tötung auf Verlangen nicht vor. So wird bereits im Strafurteil ausgeführt, der Beklagte habe die Sonde durchschnitten, um sämtliche lebensverlängernden Maßnahmen zu beenden, obwohl es hierfür an einem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einverständnis seiner Ehefrau gefehlt habe. Sie habe einen diesbezüglichen Willen weder schriftlich noch mündlich geäußert. Der Beklagte habe ihren Willen auch nicht aus sonstigen früheren Äußerungen oder ihren ethischen oder persönlichen Wertvorstellungen herzuleiten vermocht. (...) Aus diesem Grunde scheidet auch eine Verzeihung gemäß § 2343 BGB aus. Diese muss ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden und setzt die Kenntnis des Erbunwürdigkeitsgrundes voraus. Eine mutmaßliche Verzeihung genügt demgegenüber nicht (...). Hier steht nicht fest, dass die Erblasserin in dem einen Monat zwischen der versuchten Tötung und ihrem Tod Kenntnis von der Tat des Beklagten erlangt und durch eine nach außen erkennbare Handlung eine Verzeihung zum Ausdruck gebracht hätte. Die Anforderungen an einen zulässigen Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen zugunsten der Erblasserin gemäß §§ 1901a ff. BGB sind gleichfalls nicht erfüllt. Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfü- gung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat er dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor, da die Erblasserin keine Patientenverfügung hinterlassen hat. In dieser Lage bedarf die vom Betreuer beabsichtigte Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung des einwilligungsunfähigen Betroffenen nach § 1904 Abs. 2 BGB grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung (...). Hieran fehlt es, da sich der Beklagte um eine derartige Genehmigung nicht bemüht hat. Eine solche Genehmigung ist gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nur dann nicht erforderlich, wenn zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht (BGH aaO Rn. 17). Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird mithin durch die wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer Rechnung getragen. Auch eine derartige Konstellation ist nicht gegeben, da der Beklagte ein Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt nicht hergestellt hat.
Praxishinweise:
- Der Fall zeigt, wie wichtig eine Patientenverfügung ist.
- Bei einem (mutmaßlichen) Einverständnis ist nicht unbedingt von Erbunwürdigkeit auszugehen. Hier dürfte es aber auf den Einzelfall ankommen.