Amtlicher Leitsatz
Der Erbfallkostenpauschbetrag nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG kann von Vermächtnisnehmern auch dann in Anspruch genommen werden, wenn sie nicht durch Auflage des Erblassers mit Kosten belastet sind.Ist der Nachlass nicht vollständig in Deutschland steuerpflichtig, dann wird der Erbfallkostenpauschbetrag nur anteilig in Höhe der Quote des in Deutschland erbschaftsteuerpflichtigen Erwerbs zum Gesamtnachlass berücksichtigt.Tatsächlich entstandene Aufwendungen für die Erlangung des Erwerbs sind nicht neben dem Pauschbetrag zu berücksichtigen (entgegen R E 10.9 Abs. 5 ErbStR).
FG Niedersachsen, Urt. v. 28.6.2023 – 3 K 169/21
Auszug aus den Gründen
"1. Gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG gilt als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist. Von dem Erwerb sind gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG als Nachlassverbindlichkeiten die Kosten der Bestattung des Erblassers, die Kosten für ein angemessenes Grabdenkmal, die Kosten für die übliche Grabpflege mit ihrem Kapitalwert für eine unbestimmte Dauer sowie die Kosten, die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung des Erwerbs entstehen abzugsfähig. Für diese Kosten wird nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG insgesamt ein Betrag i.H.v. 10.300 EUR ohne Nachweis abgezogen (Erbfallkostenpauschbetrag). Der Betrag ist für jeden Erbfall nur einmal zu gewähren, namentlich für mehrere Miterben nur einmal (BFH-Urteil vom 1. Februar 2023 II R 3/20, BFH/NV 2023, 904; vgl. BFH-Beschluss vom 24. Februar 2010 II R 31/08, BFHE 228, 189, BStBl II 2010, 491, m.w.N.). Der Abzug des Pauschbetrags setzt nicht den Nachweis voraus, dass zumindest dem Grunde nach tatsächlich Kosten angefallen sind (BFH-Urteil vom 1. Februar 2023 II R 3/20, BFH/NV 2023, 904).
2. Danach ist bei der Klägerin vorliegend ein Erbfallkostenpauschbetrag nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG i.H.v. 2.080 EUR zu berücksichtigen.
a) Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin Erbin oder Vermächtnisnehmerin ist.
Die Klägerin kann den Erbfallkostenpauschbetrag auch in Anspruch nehmen, wenn sie Vermächtnisnehmerin geworden ist, ohne dass sie durch eine Auflage der Erblasserin mit Kosten belastet wurde.
Dazu wurden in der Rechtsprechung bislang unterschiedliche Ansichten geäußert.
aa) Das FG Köln hat in seinem Urteil vom 23. April 1991 9 K 2011/89 (juris, nur Leitsatz) die Auffassung vertreten, dass die Pauschale nur den Erben zustehe. Es hat dabei Rückgriff auf den BFH-Beschluss vom 28. November 1990 II S 10/90 (BFH/NV 1991, 243) genommen. Der BFH hatte entschieden, dass der Pauschbetrag nur abgezogen werden könne, wenn dem Erwerber dem Grunde nach Kosten im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG entstanden seien.
bb) Das FG Nürnberg hingegen hat mit Urteil vom 14. Mai 1998 IV 128/97 (EFG 1998, 1419) entschieden, dass auch ein Vermächtnisnehmer den Pauschbetrag beanspruchen könne, wenn er in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG aufgeführte Kosten (z.B. für Grabpflege) aufgrund einer Auflage zu tragen habe. Das Finanzgericht Köln hat sich in seinem Urteil vom 5. Januar 2000 9 K 8042/98 (juris) dieser Rechtsprechung angeschlossen. Dem dürfte auch in der Literatur gefolgt werden (vgl. Konrad in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 8. Aufl. 2023, § 10 Rz 228; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, 65. EL Februar 2023, § 10 Rz 237; Fumi in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 10 Rz 75).
cc) Nach Ansicht des hier erkennenden Senats kann auch ein Vermächtnisnehmer den Pauschbetrag in Anspruch nehmen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes. Nach § 10 Abs. 5 Satz 1 ErbStG sind die Nachlassverbindlichkeiten von dem Erwerb abzuziehen. Zum Erwerb von Todes wegen gehören nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch die sonstigen Erwerbe, auf die die für Vermächtnisse geltenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts Anwendung finden. Damit sind Vermächtnisse und folglich auch Vermächtnisnehmer in die Regelung des § 10 Abs. 5 ErbStG eingeschlossen.
dd) Nach neuester Rechtsprechung des BFH ist es ohne Belang, ob tatsächlich Kosten im Sinne von § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG zu tragen waren. Der BFH ist damit von seiner früheren, noch vom Finanzgericht Nürnberg in dessen Urteil vom 14. Mai 1998 (IV 128/97, EFG 1998, 1419) berücksichtigten Rechtsprechung, abgerückt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 2023 II R 3/20, BFH/NV 2023, 904). Im Übrigen findet es keinen Anhalt im Gesetz, dass der Erbfallkostenpauschbetrag einem Vermächtnisnehmer nur dann zusteht, wenn er durch eine Auflage des Erblassers mit Kosten belastet ist. Im Streitfall sind zudem tatsächlich Kosten angefallen.
b) Der Erbfallkostenpauschbetrag steht der Klägerin jedoch nicht in voller Höhe zu.
Ungeachtet des Umstandes, dass der Großteil des Vermögens der Erblasserin in Deutschland erbschaftsteuerlich nicht steuerpflichtig ist, steht der Klägerin der Erbfallkostenpauschbetrag nur anteilig in der quotalen Höhe ihres Vermächtnisses zur gesamten Erbmasse zu.
aa) Der Erbfallkostenpauschbetrag ist für jeden Erbfall nur einmal i.H.v. insgesamt 10.300 EUR zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Februar 2010 II R 31/08, BFHE 228, 189, BStBl II 2010, 491 und BFH-Urteil vom 1. Februar 2023 II R 3/20, BFH/NV 2023, 904).
bb) Die Frage der Aufteilung des Erbfallkostenpauschbetrages zwischen mehreren Erwerbern ist gesetzlich nicht geregelt und bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden.
Denkbar wäre dabei, dass der Erbfallkostenpauschbetrag zwischen mehreren Erwerbern nach Quote des Vermögensanfalls, gemessen an den individuellen Aufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG, nach Köpfen oder auch nach freier Einigung der Erwerber untereinander aufzuteilen ist.
cc) Im Streitfall ist der Senat der Auffassung, dass der Erbfallkostenpauschbetrag von der Klägerin nur anteilig in Höhe der Quote des der Klägerin zugeflossenen Vermögens zum Gesamtnachlass zu berücksichtigen ist.
Die Bemessung des Erbfallkostenpauschbetrages nach einer anderen Methode scheidet vorliegend aus. Eine Einigung zwischen den verschiedenen Erwerbern zur Aufteilung des Pauschbetrages ist nicht erfolgt. Die individuellen Aufwendungen eines jeden Erwerbers sind nicht bekannt. Eine Aufteilung nach Köpfen hält das Gericht für nicht sachgerecht.
Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, dass einer Erwerberin oder einem Erwerber der volle Erbfallkostenpauschbetrag zusteht, wenn ein Teil des Nachlasses in Deutschland nicht steuerpflichtig ist und bei dem im Inland steuerpflichtigen Erwerber nur geringe Aufwendungen i.S.v. § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG angefallen sind. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des vollen Erbfallkostenpauschbetrages führte sonst zu einer übermäßigen Begünstigung gegenüber dem Fall, dass die weiteren Erwerber (z.B. Miterben oder Vermächtnisnehmer) der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland unterliegen und ihrerseits einen Anteil am Pauschbetrag in Anspruch nehmen können. Dass der Gesetzgeber eine solche Überbegünstigung nicht gewollt hat, kommt im Gesetz in § 10 Abs. 6 Satz 1 und 2 ErbStG zum Ausdruck. Eine ähnliche Problematik existiert auch bei der Berücksichtigung von Freibeträgen in Fällen der beschränkten Steuerpflicht gem. § 16 Abs. 2 ErbStG (vgl. hierzu Urteil des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 21. Dezember 2021 C-394/20, BStBl II 2023, 156; Niedersächsisches FG, Urteil vom 22. Juli 2020 3 K 163/19, EFG 2021, 134 und FG Düsseldorf, Vorlagebeschluss vom 20. Juli 2020 4 K 1095/20 Erb, EFG 2020, 1522). Nach dieser Regelung wird für unbeschränkt steuerpflichtige Erben der jeweils volle gültige Freibetrag nach § 16 Abs. 1 ErbStG gewährt. Allerdings wird dieser verhältnismäßig gekürzt, soweit er anteilig auf das nicht der beschränkten Steuerpflicht unterfallende Vermögen entfällt. Diese geänderte Norm hat der EuGH nun für unionsrechtskonform erklärt. Die Regelung vermeidet, dass die Steuerkraft eines Erben systematisch zu niedrig angesetzt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Dezember 2021 C-394/20, BStBl II 2023, 156 Rz 52). Soweit sich der EuGH in dem Urteil auch mit § 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG beschäftigt, handelt es sich dabei um keine vergleichbare Konstellation, die für das Begehren der Klägerin streitet.
Vorliegend verhält es sich genauso. Könnte die Klägerin den vollen Erbfallkostenpauschbetrag in Anspruch nehmen, dann würde sie in unbilliger Weise übermäßig begünstigt und ihre Steuerkraft zu niedrig bemessen.
Die Berücksichtigung eines lediglich quotalen Erbfallkostenpauschbetrages führt dabei auch nicht zu einer Benachteiligung der Klägerin. Der Pauschbetrag begrenzt die abzugsfähigen Aufwendungen nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG nicht der Höhe nach. Er schließt nicht aus, dass tatsächlich angefallene und über dem Pauschbetrag liegende Aufwendungen abgezogen werden können. Vorliegend ist dies jedoch nicht der Fall, da der Klägerin lediglich Aufwendungen i.H.v. 13,20 EUR entstanden sind.
c) Der zu berücksichtigende Erbfallkostenpauschbetrag beträgt 2.080 EUR.
Ausgehend von einem Gesamtnachlass i.H.v. 247.605 GBP und einem Anteil der Klägerin i.H.v. 50.000 GBP berechnet sich der zu berücksichtigende Erbfallkostenpauschbetrag nach der Formel
und beträgt 2.080 Euro.
3. Die Klägerin kann neben dem Erbfallkostenpauschbetrag nicht auch noch die ihr tatsächlich entstandenen Kosten in Abzug bringen.
Die Berücksichtigung tatsächlicher Aufwendungen neben dem Erbfallkostenpauschbetrag widerspricht der gesetzlichen Regelung in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG. Dort ist geregelt, dass der Pauschbetrag "für" die in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG aufgeführten Aufwendungen gewährt wird. "Für" heißt dabei anstelle der tatsächlichen Aufwendungen. Zu den nach Satz 1 zu berücksichtigenden Aufwendungen gehören indes auch die Kosten, die mit der Erlangung des Erwerbs entstehen. Um solche Kosten handelt es sich vorliegend. Für die Klägerin streitet auch nicht R E 10.9 Abs. 5 ErbStR. Diese Regelung bindet weder die Finanzverwaltung noch das Gericht im Sinne einer sogenannten Selbstbindung der Verwaltung, denn sie verstößt in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl. BFH-Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393).
4. Unter Berücksichtigung eines Erbfallkostenpauschbetrages von 2.080 EUR beträgt die festzusetzende Erbschaftsteuer 5.385 EUR.
Sie ermittelt sich wie folgt:
Vom steuerpflichtigen Erwerb i.H.v. 58.000 EUR sind Verbindlichkeiten i.H.v. 2.080 EUR zum Abzug zu bringen. Weiterhin ist ein Freibetrag i.H.v. 20.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG zu berücksichtigen, da die Klägerin nach § 15 Abs. 1 ErbStG im Verhältnis zu ihrer Tante der Steuerklasse II zuzuordnen ist. Es ergibt sich ein auf volle 100 EUR abgerundeter steuerpflichtiger Erwerb i.H.v. 35.900 EUR. Der Steuersatz beträgt nach § 19 Abs. 1 ErbStG 15 %. Daher beträgt die festzusetzende Erbschaftsteuer 5.385 EUR."