Testamentsfälschung: Anforderungen an ein Schriftgutachten

Das Landgericht Duisburg hat sich mit Urteil vom 17.10.2011 (7 T 91/10) eigehend mit der Frage auseinandergesetzt, welche Anforderungen an ein Schriftsachverständigengutachten zur Echtheit eines Testaments zu stellen sind. 

Aus den Gründen

Die Antragstellerin, die Ehefrau des Erblassers, begehrt die Erteilung eines Alleinerbscheins nach einem handschriftlichen Testament (Bl. 5 der Testamentsakte AG Oberhausen - 6 IV 574/08), in dem sie als alleinige Erbin benannt ist. Das Testament ist auf den 15.10.1990 datiert, wurde aber unstreitig erst nach Einführung der neuen Postleitzahlen am 01.07.1993 errichtet. Nachdem die Beteiligten zu 4. und 5. die Echtheit des Testaments bestritten haben, hat das Amtsgericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen , der zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Authentizität des fraglichen Testaments mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verifiziert werden könne und das Testament mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht authentisch sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten vom 29.06.2009 (Bl. 76 ff. d. A.) und das Sitzungsprotokoll vom 12.01.2010 (Bl. 148 ff. d. A.) verwiesen.

Mit Beschluss vom 04.03.2010 (Bl. 167 ff. d. A.) hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die bereits aufgrund der offensichtlich falschen Datierung des Testaments bestehenden Zweifel an dessen Echtheit hätten durch das Gutachten und die Anhörung des Sachverständigen nicht ausgeräumt werden können. Auf die Beschwerde der Antragstellerin (Bl. 193 ff. d. A.) hat die Kammer Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. und mündliche Anhörung der Sachverständigen und Dr. . Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 30.12.2010 (Anlagenheft zu Bl. 306 d. A.) und das Sitzungsprotokoll vom 09.09.2011 (Bl. 381 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die gemäß Art. 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG i. V. m. §§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 2 FGG a. F. statthafte - und auch im Übrigen zulässige - Beschwerde der Antragstellerin gegen die Zurückweisung ihres Erbscheinsantrags ist begründet. Die Antragstellerin ist aufgrund des auf den 15.10.1990 datierten Testaments Alleinerbin des Erblassers geworden. Die Kammer ist aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. der festen Überzeugung, dass der Erblasser dieses Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben hat.

1. Anhaltspunkte für eine technische Manipulation (z. B. Kopieren, Abpausen etc.) haben weder der Sachverständige Dr. noch der Sachverständige gefunden. Mithin steht fest, dass es sich bei dem Testament um eine Originalschrift handelt. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Unterschrift von einer anderen Person stammen könnte als die Textschrift des Testaments. Auch in diesem Punkt waren sich beide Sachverständige einig.

2. Der Sachverständige Dr. ist in seinem Gutachten in überzeugender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl die Unterschrift und die Namensniederschriften als auch die Textschrift mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (99,99 %) vom Erblasser eigenhändig gefertigt wurden, so dass für die alternative Entstehungshypothese einer vorlagenorientierten Nachahmungsfälschung kein Raum bzw. lediglich eine an Unmöglichkeit grenzende Wahrscheinlichkeit (0,01 %) bleibt.

a) Die fachliche Qualifikation des Sachverständigen Dr. , der der Kammer bereits aus anderen Nachlassverfahren bekannt ist, steht für die Kammer außer Zweifel. Herr Dr. ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Handschriftenvergleich, und aufgrund seiner fundierten wissenschaftlichen Ausbildung auf dem Gebiet der Schriftvergleichung bei Prof. Dr. an der Universität und seiner langjährigen Tätigkeit als Leiter des kriminalwissenschaftlichen Referats beim Zollkriminalamt in in besonderer Weise für schriftvergleichende Untersuchungen qualifiziert.

b) Die - auf einen breiten Fundus an Vergleichsmaterial (vgl. S. 4-7 des Gutachtens) gestützte - schriftvergleichende Untersuchung des Sachverständigen Dr. ergab im vorliegenden Fall durchgehend übereinstimmende Befunde von teilweise hoher Spezifität sowie analoge Variationen. Die Auswahl des herangezogenen Vergleichsmaterials ist nicht zu beanstanden. Die Kammer hält es insbesondere für sachgerecht, dass der Sachverständige Dr. den Schreibleistungen aus dem Zeitabschnitt von 1980-2000 einen erhöhten Stellenwert eingeräumt hat, da die späteren Schriften, etwa ab dem Jahr 2001, zunehmend Strichbeeinträchtigungen infolge eines altersbedingt nachlassenden Schreibvermögens erkennen lassen, die sich in dem hier in Rede stehenden Testament nicht wiederfinden. Aufgrund der zahlreichen, umfassend dokumentierten wortgleichen Gegenüberstellungen zwischen dem fraglichen Testament (X) und Vergleichsmaterialien (V) aus dem maßgeblichen Zeitraum sind die Ergebnisse seiner Begutachtung bis ins Detail nachvollziehbar und überzeugend.

Der Einwand des Beteiligten zu 5., der Sachverständige Dr. habe nur die Echtheitshypothese, nicht jedoch die Fälschungshypothese überprüft, ist unbegründet. Das Gutachten stellt eingangs ausdrücklich beide Hypothesen gegeneinander (vgl. S. 13 f. des Gutachtens) und gelangt nach Untersuchung der einzelnen Schreibleistungen (Unterschrift, Namensniederschrift, Textschrift) jeweils zu dem Ergebnis, dass für die Fälschungshypothese kein Raum bzw. lediglich eine an Unmöglichkeit grenzende Wahrscheinlichkeit verbleibe (vgl. S. 17, 19 des Gutachtens). Die fehlende Darstellung von Diskrepanzen resultiert, wie der Sachverständige Dr. in der mündlichen Anhörung erläutert hat, schlicht daraus, dass bei den entscheidenden Merkmalen keine Diskrepanzen festzustellen waren, und lässt deshalb nicht auf eine Vernachlässigung der Fälschungshypothese schließen.

Soweit der Sachverständige im Anhörungstermin beispielhaft Diskrepanzen bei einzelnen Schriftmerkmalen aufgezeigt hat (vgl. Bl. 386 f. d. A.), sind diese für die Beurteilung nicht relevant. Zum einen ist nicht ersichtlich, aus welchem Zeitraum das insoweit zugrunde gelegte Vergleichsmaterial stammt. Diskrepanzen, die sich durch das nachlassende Schreibvermögen des Erblassers ab dem Jahr 2001 erklären ließen, wären nur relevant, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gäbe, dass das Testament erst in diesem Zeitraum gefertigt wurde. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass jede Handschrift einer gewissen Variabilität unterliegt, weshalb es für die Feststellung der Echtheit einer Schrift erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass jedes Merkmal der Originalschrift in wenigstens einer Vergleichsschrift belegt werden kann, nicht jedoch umgekehrt, dass sich jedes in einer Vergleichsschrift vorgefundene Merkmal in der Originalschrift wiederfinden lässt. Anderenfalls wäre ein Echtheitstestat aus methodischen Gründen um so weniger möglich, je kürzer der Originaltext und je größer das Vergleichsmaterial und die darin vorgefundene Variationsbreite der Handschrift sind. Auch diese Zusammenhänge hat der Sachverständige Dr. in der mündlichen Anhörung nachvollziehbar und überzeugend erläutert.

3. Das in erster Instanz eingeholte Gutachten des Sachverständigen und dessen mündliche Erläuterungen hierzu sind nicht geeignet, das Ergebnis der Begutachtung des Sachverständigen Dr. in Zweifel zu ziehen. Das Gutachten des Sachverständigen weist, jedenfalls soweit es die vergleichende Schriftanalyse betrifft, schwerwiegende methodische Mängel auf, die auch durch eine schriftliche Ergänzung nicht mehr zu beheben gewesen wären.

a) Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel an der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen . Der Sachverständige ist nicht öffentlich bestellt und vereidigt, verfügt über keine von einer öffentlichen Stelle anerkannte Ausbildung im Bereich der Schriftvergleichung, sondern ist gelernter Verwaltungswirt, der lediglich eine graphologische Ausbildung bei einem privaten Weiterbildungsinstitut absolviert hat. Die - von der Kammer nicht überprüfbare - Angabe des Sachverständigen , er erstelle jährlich ca. 150 bis 200 Gutachten für Gerichte, spricht allenfalls für eine gewisse Routine, erlaubt aber keine Rückschlüsse auf die fachliche Qualifikation des Sachverständigen. Auch die Methode, die der Sachverständige bei seiner Untersuchung angewendet hat, findet die Kammer nicht überzeugend. Der Sachverständige hat hierzu selbst ausgeführt, dass die Methode ausschließlich von ihm selbst in einem erst kürzlich erschienenen Buch (Klaus M. Müller, "Forensische Schriftuntersuchung - Beschreibung einer bewährten Methode", Pro Business Verlag 2011) publiziert worden sei und eine Weiterentwicklung eines Konzeptes von Müller/Enskat zur graphologischen (Persönlichkeits-) Diagnostik darstelle, was eine völlig unterschiedliche Zielsetzung ist. Der Sachverständige hat auch weder dem Hinweis des Sachverständigen Dr. widersprochen, dass seine Methode in der nicht anerkannt sei, noch konnte er auch nur einen weiteren Schriftsachverständigen benennen, der sich seiner Methode bisher angeschlossen hat.

b) Betrachtet man das Gutachten vom 29.06.2009 konkret, drängen sich folgende Einwände auf: Zum einen hat der Sachverständige - im Gegensatz zu dem Sachverständigen Dr. - weder dokumentiert, welches Vergleichsmaterial er bei den Bewertungen der jeweiligen Schriftmerkmale auf der "Toleranzskala" von 0-6 (vgl. S. 13 des Gutachtens = Bl. 88 d. A.) herangezogen hat, noch erläutert, wie er zu den jeweiligen Messwerten gelangt ist. Damit ist das Gutachten für die Kammer schlechterdings nicht nachvollziehbar. Des Weiteren erscheint es fragwürdig, die Ausprägung der jeweiligen Schriftmerkmale in der Originalschrift und den Vergleichsproben am Maßstab der Schulnorm zu bewerten. Abgesehen davon, dass es eine einzige, allgemein verbindliche Schulnorm nicht gibt und der Sachverständige nicht angibt, von welcher Schulnorm er ausgegangen ist, ist die von ihm gewählte Untersuchung bei einem Schreiber, dessen Schrift zu 100 % mit der Schulnorm übereinstimmt, schlechterdings nicht möglich. Auch die vom Sachverständigen verwendete Formel x - | x - v | zur Berechnung der jeweiligen "Übereinstimmung absolut" ist nicht nachvollziehbar. Die Formel führt bei einigen Schriftmerkmalen zu negativen Werten, aus denen sich - trotz evident ähnlicher Schriftbilder und damit völlig kontraintuitiv - ein extrem niedriger "Übereinstimmungsgrad" ergibt, der zwangsläufig um so niedriger ausfallen muss, je größer die Variabilität einer Handschrift ist. Schließlich sind die Ergebnisse zu den Untersuchungshypothesen (Authentizität bzw. Nicht-Authentizität des Testaments) in sich widersprüchlich, da sich die ermittelten Wahrscheinlichkeitsgrade nicht ergänzen. Die Vorgehensweise des Sachverständigen suggeriert eine mathematische Genauigkeit, erscheint aber letztlich willkürlich.

Auch die vom Sachverständigen herausgestellten Übereinstimmungen zwischen dem Namenszug des Erblassers und der Unterschrift der Antragstellerin (vgl. S. 17 des Gutachtens = Bl. 92 d. A.) sind nicht geeignet, die Authentizität des Testaments in Frage zu stellen, da sie sich zwanglos durch die bei älteren Personen häufig anzutreffende Anlehnung an die in Deutschland bis 1941 gelehrte sog. Sütterlinschrift erklären lassen. Der vom Sachverständigen hieraus gezogene Schluss auf eine mögliche Nachahmungsfälschung durch die Antragstellerin erscheint schon deshalb unzulässig, weil eine Diskussion der aus den hierzu dokumentierten Bildern (Bl. 97 f. d. A.) gleichermaßen erkennbaren Abweichungen nicht stattfindet.

c) Die Einholung eines Obergutachtens war nicht erforderlich, da mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. - wie unter 2. b) dargestellt - eine in jeder Hinsicht überzeugende Entscheidungsgrundlage vorliegt.

4. Der Umstand, dass das Testament offensichtlich falsch datiert ist, da die im Testament verwendete 5-stellige Postleitzahl (46147) zu dem angegebenen Datum (15.10.1990) noch nicht existierte, bietet der Kammer angesichts des eindeutigen Ergebnisses der schriftvergleichenden Untersuchung keinen Anlass, an der Echtheit des Testaments zu zweifeln. Die Beschwerdeführerin hat hierfür in der Beschwerdeschrift vom 08.04.2010 (Bl. 193 ff. d. A.) eine plausible Erklärung geliefert, wonach der Erblasser das Testament aufgrund seiner Vorliebe für glatte und symbolträchtige Zahlen auf den 15. (Geburtsjahr) 10. (Hochzeitsmonat) 1990 zurückdatiert habe. Eine solche Vorgehensweise erscheint zwar ungewöhnlich, nach Auffassung der Kammer aber keineswegs unplausibel, da ältere Menschen häufig eigenwillige, für Dritte nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen entwickeln.

Wann das Testament tatsächlich errichtet worden ist, ob - wie die Antragstellerin behauptet - im Jahre 1993/94 oder - wie der Beteiligte zu 5. mutmaßt - zu einem noch späteren Zeitpunkt, ist unerheblich, da es weder eine zweite, dem hier in Rede stehenden Testament widersprechende Verfügung des Erblassers gibt noch konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass der Erblasser zu irgendeinem in Betracht kommenden Zeitpunkt testierunfähig gewesen sein könnte. Der Erblasser litt zwar unstreitig etwa ab dem Jahr 2001 an körperlichen Verfallerscheinungen, insbesondere an einem Nachlassen der Sehkraft und der feinmotorischen Fähigkeiten, welche sich nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. auch in der Schrift des Erblassers widerspiegeln. Anhaltspunkte für eine Demenz oder andere geistige Einschränkungen, die Auswirkungen auf die Testierfähigkeit des Erblassers gehabt haben könnten, sind im gesamten Verfahren nicht zu Tage getreten. Die erstmals im Schriftsatz vom 14.09.2011 (Bl. 400 d. A.) aufgestellte pauschale Behauptung des Beteiligten zu 5., der Erblasser sei - bereits als die neuen Postleitzahlen eingeführt worden seien - "wohl auch" durch demenzielle Beschwerden erheblich eingeschränkt gewesen, erfolgt ersichtlich "ins Blaue hinein" und ist deshalb nicht geeignet, eine gesteigerte Darlegungslast der Antragstellerin zu begründen oder diesbezügliche Amtsermittlungen des Nachlassgerichts zu veranlassen. Aus diesem Grunde war auch dem Antrag des Beteiligten zu 5. auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Altersbestimmung des Testaments nicht nachzugehen.

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