Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Urteil vom 9.1.2014 (10 U 10/13) wie folgt entschieden:
1. Bei Vorhandensein weiteren Vermögens im Zeitpunkt der Testamentserrichtung kann die Auslegung ergeben, dass die Zuwendung der im gemeinsamen Eigentum der Eltern stehenden Immobilie keine Bestimmung des Schlusserben ist, sondern die Anordnung eines Vermächtnisses.
2. Ist der Erbe zugleich Vermächtnispartner, dann kann er Beeinträchtigungen in seiner Stellung als Vermächtnisnehmer nur entsprechend der Vorschrift des § 2288 BGB geltend machen.
Sachverhalt
Die Erblasserin P war mit P2 verheiratet. Aus der Ehe entstammten zwei Töchter, S 1 und Frau L2, – die Mutter des Beklagten.
Die Eheleute P2 und P hatten in den Jahren 1974/1975 gemeinsam zu je ½ Miteigentumsanteil eine mit einem Doppelhaus bebaute Grundbesitzung in Essen-Bochold unter der ursprünglichen postalischen C-C-Straße erworben.
Der Ehemann P2 P erkrankte im Jahr 1990 an einem Bronchialkarzinom, weshalb die Eheleute mit seinem alsbaldigen Ableben rechneten. Sie errichteten mit Datum vom 30.08.1990 ein Testament mit folgendem Inhalt:
„Unser Gemeinsamer letzter Wille - Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein. Nach dem Tod des Überlebenden soll unser halbes Haus im Wert von achtzigtausend Mark an unsere Tochter S1 gehen.“
Der Ehemann P2 P verstarb am 19.09.1990 und wurde von P allein beerbt.
Am 10.12.1993 schloss P mit dem Enkel einen notariellen Übertragungsvertrag. eine Gegenleistungen für die Grundstücksübertragung wurde nicht vereinbart.
S 1 verlangte von dem Enkel der P Herausgabe des Grundstücks und argumentierte, dass ihr das Grundstück durch das Ehegattentestament zugewandt wurde, das Testament bindend sei und die Übertragung sie in ihren Rechten aus dem Testament beeinträchtigte.
Aus den Gründen
"a) § 2287 BGB trägt ihr Übertragungsverlangen gegenüber dem Beklagten nicht.
aa) Nach § 2287 I BGB hat die von einem späteren Erblasser lebzeitig (wirksam) beschenkte Person nach Eintritt des Erbfalls das Geschenk nach Maßgabe der §§ 812 ff. BGB herauszugeben, wenn der Erblasser die Schenkung in der Absicht vorgenommen hatte, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass diese Vorschrift zugunsten des in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament bindend eingesetzten Erben entsprechend anzuwenden ist (vgl. Palandt, BGB, 72. Aufl., § 2287 BGB, Rz. 1 mit § 2271 BGB, Rz. 10; Juris-PK BGB, 6. Aufl., § 2287 BGB, Rz. 6).
Der Anspruch des bindend bestimmten Erben gehört nicht zum Nachlass; er kann deshalb von jedem benachteiligten Erben persönlich - bei Miterben zu einem seiner Erbquote entsprechenden Bruchteil - geltend gemacht werden (vgl. Palandt, aaO, § 2287 BGB, Rz. 10; OLG Köln, ZEV 1997, 423 ff. - Juris-Rz. 58 m.w.N. zur Rspr.).
Vorliegend konnte eine Übertragung des Alleineigentums an der Grundbesitzung C1 Str. 154 a - wie sie mit der Berufung der Klägerin beansprucht wird - demgemäß nur dann auf § 2287 BGB gestützt verlangt werden, wenn die Klägerin Vertragserbin oder bindend eingesetzten Schlusserbin der Erblasserin P geworden war. Das ist indes - wie die gebotene Auslegung des für die Erbfolge nach Frau P maßgeblichen Testamentes vom 30.09.2013 ergibt - nicht der Fall.
Nach dem Wortlaut des von den Eheleuten P am 30.08.1990 gemäß §§ 2247, 2267 BGB wirksam errichteten Ehegattentestamentes sollte für den - offenkundig wegen der schweren Erkrankung des Ehemannes bald erwarteten - Erbfall nach dem Erstversterbenden von ihnen eine (alleinige) Erbeinsetzung des anderen Ehegatten bestimmt sein. Dies zieht die Berufung der Klägerin angesichts der eindeutigen Formulierung („setzen und gegenseitig zu Erben ein“) zu Recht nicht in Zweifel.
Hinsichtlich des zweiten Erbfalls (nach der überlebenden Ehefrau) enthält das von juristischen Laien formulierte Testament dann allerdings schon seinem Wortlaut nach nicht eindeutig eine Regelung der Gesamtrechtsnachfolge durch Erbenbestimmung. Vielmehr legten die Testierenden in der Urkunde lediglich nieder, was nach dem Tode des Überlebenden von ihnen mit „unserem halben Haus“ geschehen sollte - nämlich dass dieses „an unsere Tochter S1 ... gehen“ solle. - Insoweit bedarf das Testament vom 30.08.1990 der Auslegung (§ 2084 BGB) hinsichtlich der Frage, ob mit ihm eine Schlusserbenbestimmung getroffen werden und ggfls. welchen Inhaltes diese sein sollte.
Welchen Inhalt der Erblasser einer im Testament gewählten Formulierung beigemessen hat (bzw. was beim Ehegattentestament die so testierenden Erblasser gemeint haben) ist nach der Grundsätzen der individuellen Auslegung zu bestimmen. Es ist der jeweils wirkliche (subjektive) Wille des testierenden Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB; vgl. Palandt, aaO, § 2084 BGB, Rz. 1 m.w.N.). Dabei darf sich das Gericht nicht auf die Analyse des Wortlauts beschränken; vielmehr ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde zu würdigen; auch sind alle Nebenumstände außerhalb der Urkunde auszuwerten, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens bei der Testamentserrichtung Aufschluss geben können (Palandt, aaO, § 2084 BGB, Rz. 2 m.w.N.). Allerdings geht es nicht um die Klärung eines von der Erklärung losgelösten Willens, sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte (vgl. etwa. BGH, NJW 1993, 256; OLG München, ZErb 2010, 296 - Juris-Rz. 27).
Für das hier streitgegenständliche Ehegattentestament vom 30.08.1990 gilt in Anwendung dieser anerkannten Auslegungsgrundsätze Folgendes:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Eheleute P mit ihrem laienhaft verfassten Testament für den zweiten Erbfall (Tod des Längstlebenden) nicht auf die für den ersten Versterbensfall gewählte einfache und umfassende Formulierung „erben“ zurückgegriffen haben; vielmehr ist für den Zeitpunkt des Ablebens des Überlebenden von ihnen eine weitere Festlegung lediglich für die zu jener Zeit in ihrem Miteigentum stehende „Haushälfte“ fixiert worden. Allerdings kann eine Erbeinsetzung - je nach den Umständen des Einzelfalls - auch der Verwendung anderer sprachlicher Begriffe zu entnehmen sein (vgl. Palandt, aaO, § 2084 BGB, Rz. 7 m.w.N.).
So könnte der von der Klägerin hervorgehobene Umstand, dass die (ideellen) Miteigentumsanteile ihrer Eltern an der (damals noch grundbuchmäßig ungeteilten) Grundbesitzung C1 Str. 154 bei der Testierung im Jahr 1990 deren „wesentliches Vermögen“ ausgemacht hätten, dafür sprechen, dass mit der letztwilligen Anordnung zum Schicksal des „halben Hauses“ beim Erbgang nach dem Letztversterbenden von ihnen zugleich eine Alleinerbenbestimmung im Sinne einer Gesamtrechtsnachfolge verbunden sein sollte. Testamentarische Einzelzuwendungen von Gegenständen können nach anerkannter Meinung dann als Erbeinsetzung aufgefasst werden, wenn der Testierende bei der Errichtung der letztwilligen Verfügung davon ausging, damit nahezu über sein gesamtes Vermögen zu verfügen (vgl. BeckOK-Litzenburger BGB, Stand: 01.08.2013, § 2097 BGB, Rz. 13 m.w.N.).
Allerdings ist vorliegend durchaus zweifelhaft, ob deshalb, weil in dem fraglichen Testament vom 30.08.1990 der (vermeintliche oder tatsächliche) Wert des „halben Hauses“ (80.000 DM) betragsmäßig genannt war und dieser Wert das „wesentliche“ (im Sinne von „ganz überwiegende“) Vermögen der Eheleute P ausmachte, tatsächlich geschlussfolgert werden kann, die so bedachte Klägerin habe auch zur Gesamtrechtnachfolgerin des überlebenden Ehegatten bestimmt werden sollen.
Gegen diese von der Klägerin postulierte Annahme spricht vor allem (wenn auch nicht allein) der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19.11.2013 unstreitige Umstand, dass beim Todes des Ehemannes P2 P im September 1990 neben den Grundbesitzanteilen (d.h. 2 x 1/4 Miteigentumsanteilen an der Besitzung C1 Str. 154) weiteres werthaltiges Vermögen der Eheleute vorhanden war,- nämlich Bankguthaben i.H.v. ca. 13.000 DM, Bargeld i.H.v. ca. 15.000 DM und ein PKW P1. Dies hatte der Beklagte - entgegen der Darstellung der Klägervertreter im nachgelassenen Schriftsatz vom 10.12.2013 (Bl. 372 d.A.) - nicht etwa erst im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat angegeben; vielmehr entsprach es bereits erstinstanzlich seinem Sachvortrags, wie sich aus dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (§ 314 ZPO) und den zu den Akten gereichten Schriftsätzen der Beklagtenvertreter vom 06.03.2012 (Bl. 79 d.A.) und vom 18.09.2012 (Bl. 159 d.A.) ergibt. Diesem konkreten Sachvortrag war die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsrechtszug nicht entgegen getreten; hierauf ist sie durch den Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung ebenso hingewiesen (§ 139 ZPO) worden, wie darauf, dass der Senat deshalb von dem Vorhandensein der von dem Beklagten genannten weiteren Vermögenswerte zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung kurz vor dem Tod des Ehemanns P als unstreitig ausgehe."
(...)
"...auch § 2288 BGB das Übertragungsverlangen der Klägerin gegen den Beklagten hinsichtlich der Grundbesitzung C1 Str. 154 a nicht.
aa) § 2288 I 1 BGB verschafft dem Vermächtnisnehmer, der erbvertraglich oder testamentarisch verbindlich bedacht wurde, mit Eintritt des Erbfalls einen Anspruch gegen den oder die Erben darauf, ihm den Vermächtnisgegenstand zu verschaffen, wenn der Erblasser noch zu Lebzeiten diesen Gegenstand in Beeinträchtigungsabsicht veräußert hatte. Der Anwendungsbereich der Norm erfasst anerkanntermaßen ebenfalls wechselbezügliche (verbindlich gewordene) Vermächtnisverfügungen eines gemeinschaftlichen Ehegattentestamentes (vgl. Jurs-PK BGB, aaO, § 2288 BGB, Rz. 7). Geschah die Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes durch den späteren Erblasser schenkweise, so hat der Vermächtnisnehmer bei Eintritt des Erbfalls nach § 2288 II 2 BGB einen subsidiären Anspruch gegen den Beschenkten auf Herausgabe des Geschenkes nach Maßgabe des § 2287 BGB, soweit er Ersatz für den Vermächtnisgegenstand nicht von dem oder den Erben erlangen kann." (...)