Anwendungsbereich
Gemäß Artikel 1 EuErbVO (Anwendungsbereich) ist die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der EuErbVO anzuwenden. Ausgeschlossen vom Anwendungsbereich der EuErbVO sind die in Art. 1 Abs. 2 bezeichneten Fragen, insbesondere
- Fragen betreffend die Verschollenheit oder die Abwesenheit einer natürlichen Person oder die Todesvermutung;
- Unterhaltspflichten außer derjenigen, die mit dem Tod entstehen;
- die Formgültigkeit mündlicher Verfügungen von Todes wegen;
- Rechte und Vermögenswerte, die auf andere Weise als durch Rechtsnachfolge von Todes wegen begründet oder übertragen werden, wie unentgeltliche Zuwendungen, Miteigentum mit Anwachsungsrecht des Überlebenden (joint tenancy), Rentenpläne, Versicherungsverträge und ähnliche Vereinbarungen und
- die Errichtung, Funktionsweise und Auflösung eines Trusts.
Universelle Anwendung
Das nach der EuErbVO bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaates der EuERbVO ist.
Beispiel: Das nach der EuErbVO bezeichnete Recht ist das Recht von Südafrika. Südafrika ist ein Drittstaat. Gleichwohl wenden Gerichte der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht von Südafrika an.
Allgemeine Kollisionsnorm
Sofern keine besonderen Regeln (z.B. über die Rechtswahl, materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen) vorgehen, unterliegt gemäß Art. 21 EuErbVO die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der letzte gewöhnliche Aufenthalt im Sinne der EuErbVO des Erblassers war.
Beispiel: Erblasser X, deutscher Staatsangehöriger, ist mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland verstorben. Gerichte der Bundesrepublik Deutschland wenden das deutsche Recht im Hinblick auf das weltweite Vermögen an.
Besondere Regelungen
Besondere Regelungen im Recht eines Staates, in dem sich bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten befinden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf jene Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren, finden auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen Anwendung, soweit sie nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind (Art. 30 EuErbVO).
Kollisionsrechtliche Bestimmungen, die unbewegliches Vermögen (immovables) generall dem Belegenheitsrecht (lex rei sitae) unterstellen, wie sie insbesondere in Common-law Staaten (z.B. England, USA, Australien) bestehen, sind keine besonderen Regeln in diesem Sinne (Erwägungsgrund 54 S. 4). Nach unserer Auffassung sind allerdings die Regeln zur Heimstätte (homestead) besondere Bestimmungen im Sinne von Art. 30 EuErbVO).
Rückverweisungen
Wenn das Recht eines Drittstaates im Sinne der EuErbVO nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO zur Anwendung berufen ist, so ist gemäß Art. 34 Abs. 1 EuErbVO auch dessen internationales Privatrecht zu beachten, soweit es auf das Recht eines Mitgliedstaates (lit. a) oder das Recht eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde (lit. b) verweist. Demzufolge ist eine Rückverweisung auf deutsches Recht durch Kollisionsregeln eines Drittstaates im Sinne der EuErbVO , z.B. betreffend unbewegliches Vermögen (immovables) zu beachten. Dies kann zu einer Nachlasssaltung führen. Das Recht des Drittstaates kann die Frage, ob die einzelnen Nachlassgegenstände bewegliches oder unbewegliches Vermögen sind, dem Belegenheitsrecht überlassen (Qualifikationsverweisung).
Ausweichklausel
Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat, ergibt sich aber aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts hatte, so ist gemäß Art. 21 Abs. 2 EuErbVO auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
Diese Bestimmung soll z. B. ausnahmsweise gelten, wenn der Erblasser erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist und sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass er eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte (EG 25 S. 1).
Ist die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Erblassers lediglich schwierig, liegt kein Fall des Art. 21. Abs. 2 EuErbVO vor (EG 25 S. 2).
Rechtswahl
Gemäß Art. 22 EuErbVO kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie
- im Zeitpunkt der Rechtswahl oder
- im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person für Zwecke der Rechtswahl hat, richtet sich nicht nach der EuErbVO, sondern nach dem Recht desjenigen Staates, dessen Staatsangehörigkeit in Frage steht, d.h. z.B. das Staatsangehörigkeitsgesetz für die deutsche Staatsangehörigkeit.
Bei mehrfachen Staatsangehörigkeiten kann der Erblasser das Recht einer seiner Staatsangehörigkeiten wählen (Art. 22 Abs. 2 EuErbVO).
Vertiefende Informationen hierzu finden Sie insbesondere in dem Beitrag Rechtswahl und Fiktion der Rechtswahl nach der Europäischen Erbrechtsverordnung.
Fingierte Rechtswahl
Wurde eine Verfügung von Todes wegen vor dem 17. August 2015 "nach dem Recht" errichtet, welches der Erblasser nach der EuErbVO hätte wählen können, so gilt dieses Recht als das auf die Rechtsfolge von Todes wegen anzuwendende gewählte Recht (Art. 83 Abs. 4 EuErbVO).
Vertiefende Informationen hierzu finden Sie insbesondere in dem Beitrag Rechtswahl und Fiktion der Rechtswahl nach der Europäischen Erbrechtsverordnung.
Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen
Die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen im Sinne der EuErbVO - mit Ausnahme eines Erbvertrags - unterliegen dem Recht, das nach der EuErbVO auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre, wenn die Person, die die Verfügung errichtet hat, zu diesem Zeitpunkt verstorben wäre. Art. 24 Abs. 1 EuErbVO (Hypothetisches Erbstatut).
Der Erblasser kann für die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit ihrer Verfügung von Todes wegen das Recht wählen, das sie nach Artikel 22 unter den darin genannten Bedingungen hätte wählen können. Art 24 Abs. 2 EuErbVO.
Erbverträge
Die Zulässigkeit, die materielle Wirksamkeit und die Bindungswirkungen eines Erbvertrags im Sinne der EuErbVO, der den Nachlass einer einzigen Person betrifft unterliegen dem Recht, das anzuwenden gewesen wäre, wenn diese Person zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags verstorben wäre (Art. 25 Abs. 1 EuErbVO).
Ein Erbvertrag, der den Nachlass mehrerer Personen betrifft, ist nur zulässig, wenn er nach jedem der Rechte zulässig ist, die nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge der einzelnen beteiligten Personen anzuwenden wären, wenn sie zu dem Zeitpunkt verstorben wären, in dem der Erbvertrag geschlossen wurde (Art. 25 Abs. 2 EuErbVO).
Die Parteien des Erbvertrags können das Recht wählen, das die Person oder eine der Personen, deren Nachlass betroffen ist, nach Artikel 22 unter den darin genannten Bedingungen hätte wählen können.
Formgültigkeit einer schriftlichen Verfügung von Todes wegen
Ein ausländisches Testament ist hinsichtlich seiner Form nach dem Haager Testamentsformübereinkommen (TestFormÜbk), dass den Regeln der EuErbVO vorgeht, als gültig anzusehen, wenn es einem der folgenden Rechte genügt:
- dem Heimatrecht des Erblassers im Zeitpunkt der letztwilligen Verfügung oder des Todes
- dem Recht des Errichtungsortes
- dem Recht des Wohnsitzes oder des letzten Aufenthaltes im Zeitpunkt der letztwilligen Verfügung oder des Todes, wobei die Frage des Wohnsitzes nach dem am Ort geltende Recht bestimmt wird
- des Rechts des Ortes, an dem sich unbewegliches Vermögen befindet, soweit es sich um dieses handelt
- dem auf die Erbfolge von Todes wegen ansonsten anzuwendendes Recht im Zeitpunkt des Todes oder der Verfügung
Das TestFormÜbk trennt generell die Formfrage vom ansonsten anzuwendenden Erbrecht. Dies hat zur Folge, dass für die Frage der Formgültigkeit das ansonsten anzuwendende Erbrecht außer Betracht bleiben muss.
Vorbehalt der Nichtanwendung bei Verletzung der Öffentliche Ordnung (ordre public)
Die Anwendung einer Vorschrift des nach der EuErbvO bezeichneten Rechts eines Staates darf nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist. Die Nichtanwendung des deutschen Pflichtteilsrechts in Folge einer Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO kann den deutschen Ordre Public im Einzelfall verletzen, wenn das gewählte Recht keine entsprechenden Rechte gewährt und ausreichende Bezüge zu Deutschland bestehen (BGH, Urteil vom 29.06.2022, Az. IV ZR 110/21.
Glossar: Mitgliedsstaat im Sinne der EuErbVO; Erbvertrag im Sinne der EuErbVO; Drittstaat im Sinne der EuErbVO; Trust; Gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der EuErbVO