Allgemeines Erbstatut nach der EuErbVO
Im Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) bestimmt sich gemäß Art. 21 EuErbVO das auf die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der EuErbVO anzuwendende Recht im Grundsatz nach dem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der EuErbVO des Erblassers. Dies gilt aber nach Art. 21 EuErbVO nur sofern "keine besonderen Regeln" vorgehen. Solche besonderen Regeln sind insbesondere die Regeln der Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO und die Regeln der fingierten Rechtswahl nach Art. 83 Abs. 3 EuErbVO (daneben gibt es weitere Sonderrgeln, siehe hierzu Anwendbares Erbrecht nach der Europäischen Erbrechtsverordnung).
Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO
Gemäß Art. 22 EuErbVO kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie
- im Zeitpunkt der Rechtswahl oder
- im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Maßgebliche Staatsangehörigkeit
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person für Zwecke der Rechtswahl hat, richtet sich nicht nach der EuErbVO, sondern nach dem Recht desjenigen Staates, dessen Staatsangehörigkeit in Frage steht, d.h. z.B. das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) für die deutsche Staatsangehörigkeit.
Bei mehrfachen Staatsangehörigkeiten kann der Erblasser das Recht einer seiner Staatsangehörigkeiten wählen (Art. 22 Abs. 2 EuErbVO).
Rechtswahl durch einen Drittstaatsangehörigen
Art. 22 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat im Sinne der EuErbVO wohnhafter Angehöriger eines Drittstaates (z.B. Kanada, USA, Australien, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland) für die Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der EuErbVO das Recht des Drittstaats wählen kann (EuGH, Urt. v. 12.10.2023 – C-21/22).
Staaten mit mehreren Gebietseinheiten
Wird bei der Erklärung der Rechtswahl auf das Recht eines Staates, der mehrere Gebietseinheiten umfasst (Mehrrechtsstaat), Bezug genommen, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind (vgl. Art. 36 Abs. 2 lit. b) EuErbVO).
Beispiel: Der Spanier Jorge Martinez wählt in seinem Testament das "spanische Recht". Spanien ist ein Mehrrechtsstaat. Nach seinen internen Kollisionsvorschriften ist das Recht der spanischen Gebietseinheit anzuwenden, deren Gebietszugehörigkeit (vecinidad civil) der Erblasser hat (wenn der Erblasser Spanier war). Hat Jorge Martinez die vecinidad civil von Katalonien, hat er folglich das Recht von Katalonien gewählt.
Hat der Staat keine internen Kollisionsvorschriften, ist das Recht der Gebietseinheit anzuwenden, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte (vgl. Art. 36 Abs. 2 lit. b) EuErbVO).
Beispiel: Der Kanadier, Jeffrey Smith wählt in seinem Testament das "kanadische Recht". Kanada ist ein Mehrrechtsstaat. Da Kanada keine Kollisionsvorschriften hat, kommt das Recht der Gebietseinheit zur Anwendung, zu der Jeffrey Smith die engste Verbindung hatte.
Wählt der Erblasser eine Teilrechtsordnung, die nicht nach Art. 36 Abs. 1 oder Abs. 2 lit. b gewählt werden kann, ist zu prüfen, ob im Wege der Auslegung der Wille ermittelt werden kann, dass ein anderes Recht gewählt sein soll.
Zulässigkeit der Teilrechtswahl
Eine Teilsrechtswahl nach § 22 EuErbVO ist unzulässig. Daher ist z.B. eine Rechtswahl betreffend das Vermögen in einem Staat ("Ich wähle für mein Vermögen in Deutschland....") unwirksam. Unzulässig ist auch eine Rechtswahl betreffend bestimmte Rechtsfragen ("Betreffend den Pflichtteil wähle ich das Recht von ...").
Hinweis: Der wahre Wille des Testators ist zu ermitteln. Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass tatsächlich eine unbeschränkte Wahl gewollt war, kann daher unter Umständen ein unglücklich formulierte Rechtswahl noch durch Testamentsauslegung "gerettet" werden.
Bedingte Rechtswahl
Zulässig ist die bedingte Rechtswahl, z.B. für den Fall, dass man zum Zeitpunkt des Todes die gewählte Staatsangehörigkeit erworben hat.
Erklärung der Rechtswahl
Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer letztwilligen Verfügung ergeben (Art. 22 Abs. 2 EuErbVO).
Oftmals erfolgt eine ausdrückliche Rechtswahl ("ich wähle betreffend die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen des Recht von .... als das Recht meiner Staatsangehörigkeit").
Wurde das Recht nicht ausdrücklich gewählt, ist zu prüfen, ob sich die Rechtswahl "aus den Bestimmungen einer letztwilligen Verfügung" ergibt, mithin die Wahl des Heimatrechts durch Auslegung des Willens des Erblassers ergibt. Dies Frage ist unionsautonom und nicht unter Rückgriff auf das hypothetisch gewählte Recht zu beurteilen (BGH, Beschl. v. 24.2.2021 – IV ZB 33/20).
Für die konkludente Wahl einer bestimmten nationalen Rechtsordnung kann es insbesondere sprechen, dass der Erblasser Begriffe oder Rechtsinstitute verwendet, die gerade in dieser Rechtsordnung spezifisch sind (BGH, Beschl. v. 24.2.2021 – IV ZB 33/20, a.A. Amtsgericht Schöneberg ohne nachvollziehbare Begründung).
Beispiel 1: Der Erblasser ist Engländer und bestimmt einen Nachlassabwickler (executor).
Beispiel 2: Der Erblasser und sein Ehegatte haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien und errichten ein gemeinschaftliches Testament.
Die Verwendung eines rechtlichen Ausdrucks, der für das möglicherweise gewählte Recht nicht spezifisch ist, genügt für sich nicht für eine konkludente Rechtswahl.
Beispiel: Ein Spanier mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland bestimmt in einem spanischen notariellen Testament einen "heredero" (Erben).
Ferner kann die Form der Errichtung für eine Rechtswahl sprechen (wenn das Testament ansonsten unwirksam wäre).
Beispiel: Ein Deutscher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Spanien errichtet ein eigenhändiges Testament.
Die verwendete Sprache kann ein Indiz für das anwendbare Recht sein. Die Verwendung einer bestimmten Sprache für sich genügt allerdings nicht für eine konkludente Rechtswahl.
Die Staatsangehörigkeit muss bei der Rechtswahl nicht zwingend konkret bezeichnet werden, sondern kann auch abstrakt beschrieben werden (streitig). Hat der Erblasser allerdings mehrere Staatsangehörigkeiten, kann eine abstrakte Beschreibung zu Rechtsunsicherheit (welche der beiden Staatsangehörigkeiten ist gemeint?) und im Einzelfall Unwirksamkeit der Rechtswahl führen (wenn die gemeinte Staatsangehörigkeit nicht durch Auslegung zu ermitteln ist).
Form der Rechtswahl
Nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 EuErbVO (2) muss die Rechtswahl in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen.
Nach Art. 3 Abs. 1 lit. d EuErbVO ist eine Verfügung von Todes wegen ein Testament, ein gemeinschaftliches Testament oder ein Erbvertrag.
Das auf die Form der Rechtswahlerklärung anwendbare Recht richtet sich damit nach dem Formstatut der Verfügung von Todes wegen, das die Rechtswahlerklärung enthält, also bei Erbverträgen nach Art. 27 sowie bei sämtlichen anderen Verfügungen von Todes wegen nach dem Haager Testamentsformübereinkommen.
Materielle Wirksamkeit der Rechtswahl
Die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, unterliegt dem gewählten Recht (Art. 22 Abs. 3 EuErbVO).
Fingierte Rechtswahl
Wurde eine Verfügung von Todes wegen vor dem 17. August 2015 "nach dem Recht" errichtet, welches der Erblasser nach der EuErbVO hätte wählen können, so gilt dieses Recht als das auf die Rechtsfolge von Todes wegen anzuwendende gewählte Recht (Art. 83 Abs. 4 EuErbVO).
Die Vorschrift soll das Vertrauen des Erblassers in den Fortbestand seiner letztwilligen Verfügung schützen, die er vor Geltung des Aufenthaltsstatuts gemäß Art. 21 EuErbVO errichtet hatte (OLG Karlsruhe, ZEV 2024, 534 m.w.N.).
Mit Blick auf den Zweck der Vorschrift ist insoweit kein Erklärungsbewusstsein des Erblassers erforderlich (OLG Karlsruhe, ZEV 2024, 534; str.).
Da nach den Artt. 22, 24 Abs. 2, 25 Abs. 3 EuErbVO nur das Recht der Staatsangehörigkeit wählbar ist, ist es nach Auffassung des OLG Karlsruhe (ZEV 2024, 534) und einem Teil der Literatur (Dutta/Weber/Bauer/Fornasier Rn. 36; Köhler in GKKW IntErbR Teil 1 § 4 Rn. 37) erforderlich, dass nach dem Heimatrecht des Testators das Staatsangehörigenstatut galt. Wenn man an den Schutzzweck anknüpft (Vertrauen des Erblassers in den Fortbestand seiner letztwilligen Verfügung) ist es überzeugender zu verlangen, dass nach dem Kollisionsrecht des Staates auch das Recht der Staatsangehörigkeit zur Anwendung kommt.
Da nach der EuErbVO nur für die "gesamte Rechtsnachfolge" eine Rechtswahl zulässig ist und der Zweck der Norm (Vertrauenschutz) eine Anwendung in diesem Fall nicht gebietet, dürfte eine auf einen Teil des Nachlasses beschränkte Verfügung nicht für Art. 83 Abs. 4 EuErbVO ausreichen (vgl. auch zu Art. 83 Abs. 2 EuErbVO: EuGH, Urt. v. 9.9.2021 – C-277/20, UM).
Ebenfalls dürfte keine fiktive Rechtswahl anzunehmen sein, wenn der Erblasser (etwa für Vermögen in verschiedenen Staaten) mehrere Verfügungen von Todes wegen getroffen hat und der Erblasser nur eine dieser Verfügungen nach seinem Heimatrecht errichten wollte (MüKoBGB/Dutta, 9. Aufl. 2024, EuErbVO Art. 83 Rn. 13).
Rechtswahl nach ausländischem Recht
Verweist die EuErbVO auf das Recht eines Drittstaates (z.B. USA, UK) und gibt es nach dem Recht dieses Staates die Möglichkeit zur Rechtswahl (z.B. USA betreffend die Wirkungen eines testamentary trust), so ist diese Rechtswahl im Grundsatz auch aus deutscher Sicht anzuerkennen. Ist hingegen aus deutscher Sicht nicht das Recht eines Drittstaates anzuwenden, ist eine Rechtswahl nach dem Recht eines Drittstaates aus Sicht Deutschlands unwirksam.
Hinweis: Ist die Rechtswahl aus deutscher Sicht unwirksam, stellt sich die Frage, wie das Recht durchgesetzt werden kann, wenn Vermögen in dem Drittstaat belegen ist. Im Einzelfall kann es auch entscheidend sein, in welchem Gericht man Klage erhebt (sog. Forum Shopping).
Rechtswahl und Pflichtteil
Der BGH mit Urteil vom 29.06.2022 (Az. IV ZR 110/21) die Berufung gegen das Urteil des OLG Köln vom 22.04.2021, Az 24 U 77/20, wonach die Nichtanwendung des deutschen Pflichtteilsrechts in Folge einer Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO die deutsche Öffentliche Ordnung (ordre public) verletzt, zurückgewiesen. Das OLG Köln hatte mit Urteil vom 22.04.2021, Az 24 U 77/20 entschieden, dass englisches Recht betreffend den Pflichtteil wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht anzuwenden ist, wenn ein Brite mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland nach Art. 22 EuErbVO das britische Recht wählt. D
Hinweis: Die Entscheidung ist zu einem Fall ergangen, in dem der einzige Anknüpfungspunkt an das ausländische Recht die Staatsangehörigkeit des Erblasser war und ist nicht so zu verstehen, dass durch eine Rechtswahl nie der Pflichtteil vermieden werden kann. So kann nach unserer Auffassung der Pflichtteil durch Rechtswahl vermieden werden, wenn deutsches Recht nur Kraft Rückverweisung aus dem Recht von England und Wales (oder einem anderen common law Staat), z.B. betreffend unbewegliches Vermögen (immovables) in Deutschland, zur Anwendung kommt. Aber auch wenn der Erblasser erst vor kurzem nach Deutschland gezogen ist, sollte dies möglich sein. Vorsorglich sollten aber stets auch andere Möglichkeiten zur Reduzierung des Pflichtteils erwogen werden (siehe hierzu auch den Beitrag Pflichtteil und Vermeidung des Pflichtteils).