Erteilung Erbschein nach italienischem Recht bei Widerspruch durch Pflichtteilsberechtigten

Das OLG Frankfurt a.M. hat mit Beschluss vom 23.05.2013 - 20 W 142/13 - entschieden, dass ein Erbschein unter Anwendung des italienischen Rechts erteilt werden kann, obwohl

  • der italienische Pflichtteil noch nicht verjährt ist,
  • keine Klage auf den italienischen Pflichtteil erhoben wurde und
  • die Pflichtteilsberechtigten trotz Aufforderung durch das Nachlassgericht sich über die Geltendmachung einer derartigen Herabsetzungsklage nicht erklären, bzw. deren Einreichung nicht nachweisen

Ein Hinweis auf den italienischen Pflichtteil soll nicht zu vermerken sein.

 

Aus den Gründen

Ob – wie vom Beteiligten zu 2) beantragt – vorliegend ein Erbschein erlassen werden kann, der lediglich dessen Alleinerbenstellung trotz des noch nicht verjährten Noterbrechtes der Beteiligten zu 1) bzw. deren Bruders ausweist, ist äußerst umstritten. Im Wesentlichen werden insoweit folgende Ansichten vertreten:
1. Aufnahme der Pflichterben in den Erbschein, ohne dass zuvor ein Herabsetzungsurteil erfolgen muss (so wohl Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl., 2004, § 21 IV, die keine Differenzierung danach vornehmen, ob bereits eine Herabsetzungsklage durchgeführt wurde worden ist oder nicht).
2. Die Erteilung des Erbscheins ist abzulehnen, da ein Erbschein dieser Form („unter Vorbehalt der Herabsetzungsklage“) dem deutschen Recht wesensfremd sei (Firsching in Staudinger, BGB, 12. Aufl., 1983, § 2369, Rn. 43 zum vergleichbaren schweizerischen Erbrecht).
3. Die Noterben werden vor erfolgreichem Abschluss des Herabsetzungsverfahrens zwar noch nicht in den Erbschein aufgenommen, es ist jedoch die Möglichkeit einer Klage im Erbschein zu vermerken („unter Vorbehalt der Herabsetzungsklage“) und dabei ergänzend anzugeben, welchen Verfügungsbeschränkungen der Testamentserbe nach dem jeweiligen Erbstatut möglicherweise unterliegt (Dörner in Staudinger, BGB, 2007, Art. 25 EGBGB, Rn. 886, so wohl auch Taupitz, a.a.O., IV Nr. 1 und Nr. 2 b) und Sonnenberger „Die question anglaise als Problem…“, IPrax 2002, 169 ff, 174, Fußnote 43, zum vergleichbaren französischen Recht).
4. Der Erbschein ist unter Nennung der Noterben und der Möglichkeit der Herabsetzung hinsichtlich einer bestimmten Nachlassquote im Hinblick auf eine Vergleichbarkeit der Stellung der Noterben nach italienischem Recht mit einer Stellung als Nacherbe bzw. als bedingtem Nacherben zu erteilen (vgl. Johnen, „Die Behandlung von Erbscheinsanträgen mit Auslandsberührung in der notariellen Praxis“, MittRhNotK, 1986, 57 ff.; Schotten/Schmellenkamp, Das Internationale Privatrecht in der notariellen Praxis, 2. Aufl., Rn. 346;
LG Saabrücken, Beschluss vom 02.05.2000, in IPRspr. 2000, 431, allerdings lediglich als ergänzende Erwägung; im Ergebnis mit anderer Begründung auch Birk in Münchner Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2010, Art. 25 EGBGB, Rn. 346).
5 a. Erteilung des Erbscheins entsprechend der Verfügung von Todes wegen – also ohne Hinweis auf das Noterbrecht und mögliche Noterben - solange kein Herabsetzungsurteil vorliegt (Lorenz in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., 2012, Art 25 EGBGB, Rn. 70; wohl auch Raape, IPR, 5. Aufl., 1961,§ 39 III Nr. 2, Fußnote 37),
bzw. 5 b. dann, wenn die Noterben trotz Aufforderung durch das Nachlassgericht sich über die Geltendmachung einer derartigen Herabsetzungsklage nicht erklären, bzw. deren Einreichung nicht nachweisen (Wiedemann/Wiedemann in Süß, a.a.O., Italien, Rn. 216; Mayer in Münchner Kommentar zum BGB, 5. Aufl., 2010, § 2369, Rn. 34 m.w.N. in Fußnote 11; zur gleichartigen Problematik im französischen Recht Ferid/Firsching, Frankreich, Grdz. F § 2 VI, Rn. 215 mit Fußnote 347; Süß in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/ Wälzholz, a.a.O. § 18, Rn. 396 ff.).
Das Bayrische Oberste Landesgericht hat diese Frage zum vergleichbaren belgischen Recht in einem Beschluss vom 26.10.1995 (Az. 1Z BR 163/94, zitiert nach juris) offengelassen, da im dortigen Fall lediglich ein Erbschein beantragt worden war, der bereits nur den freien Teil des Nachlasses erfasst hatte.
Der Senat schließt sich der unter 5 b. dargelegten Auffassung an.
Diese berücksichtigt den wesentlichen Zweck des Erbscheins nach deutschem Recht am besten, wonach Verfügungen über den Nachlass erleichtert werden sollen, der Erbschein also Verkehrsinteressen dienen soll (vgl. Kegel/Schurig, a.a.O.). Dies folgt insbesondere aus dessen auf der Richtigkeitsvermutung (§ 2365 BGB) beruhenden öffentlichen Glauben und dem damit verbundenen Schutz des gutgläubigen Dritten (§§ 2366, 2367 BGB).
Diesen Verkehrsinteressen wird aber ein Erbschein nicht ausreichend gerecht, der es dem derzeit rechtlichen alleinigen testamentarischen Erben wegen der sich aus ihm ergebenden Möglichkeit des zukünftigen Eintritts weiterer Erbberechtigter (Noterben) im Verkehr letztlich faktisch unmöglich macht, ohne Zustimmung dieser weiteren Personen entsprechend seiner derzeit bestehenden alleinigen Erbenstellung über den Nachlass zu verfügen und dies – wie im Falle Italiens - sogar für einen Zeitraum von 10 Jahren bis zum Eintritt der Verjährung.
Soweit insoweit eine Parallele zur deutschen Nacherbschaft bzw. bedingten Nacherbschaft (beispielsweise im Falle einer Wiederverheiratungsklausel) herangezogen wird, ist – unabhängig von der rechtlichen Andersartigkeit dieser Rechtsinstitute gegenüber dem Noterbrecht (insbesondere Erbenstellung des Nacherben erst mit Wirkung des Eintritt des Nacherbfalls gegenüber rückwirkendem Erwerb der Erbenstellung des Noterben bei erfolgreicher Herabsetzungsklage) – eine diesen Instituten angeglichene inhaltliche Formulierung im Erbschein auch nicht angemessen, da auch dies wiederum zu den dargelegten Einschränkungen in der Verkehrsfähigkeit des Erbscheins führen würde. Insoweit ist auch folgende Besonderheit des Noterbrechts zu berücksichtigen: Die von dem Erblasser durch testamentarische Einsetzung einer anderen Person gerade ausgeschlossenen Noterben benötigen eine entsprechende Nennung im Erbschein (sei es ihrer Namen oder allgemein des Instituts des Noterbrechts unter entsprechender Quotenangabe) zu ihrem Schutz nicht in der gleichen Weise, wie die vom Erblasser gerade als Nacherben/bedingte Nacherben gewollt testamentarisch eingesetzten Personen, die eben nicht - wie ein Noterbe - selbst jederzeit den Eintritt der Bedingung für die Erstarkung ihres Anwartschaftsrechts durch eine Herabsetzungsklage durchsetzen können.
Da die Noterben nach italienischem Recht – wie oben dargelegt – gerade noch keine Erben sind, sondern zunächst nur ein Gestaltungsrecht inne haben, besteht auch entgegen der Ansicht von Birk im Münchner Kommentar zum BGB keine Veranlassung, sie als Erben im Sinne des deutschen Erbrechts anzusehen, solange sie von diesem Gestaltungsrecht noch keinen Gebrauch gemacht haben.
Im Hinblick darauf, dass Dritte durch den Inhalt des Erbscheins geschützt werden – soweit keine anderweitige Kenntnis von dessen Unrichtigkeit besteht – ist auch nicht ersichtlich, dass insoweit ein schutzwürdiges Interesse für die teilweise geforderte Anführung der Noterben bzw. eines entsprechenden Vorbehaltes besteht.
Weiterhin besteht bei dieser Lösung auch keine unangemessene Benachteiligung der Noterbberechtigten, da diese im Erbscheinsverfahren gerade die Möglichkeit hatten, durch entsprechenden Nachweis einer Geltendmachung der Pflichtteile den Erlass eines Erbscheines zu verhindern, der lediglich den Testamentserben als Alleinerben ohne entsprechenden Hinweis auf die Noterbrechte ausweist. Auch insoweit weisen Süß (a.a.O.) und Mayer (a.a.O.) zu Recht darauf hin, dass es dann, wenn die Noterbberechtigten sich hierzu nicht durchringen können und die Geltendmachung ihrer Pflichtteile hinausschieben, angemessen ist, diese mit den sich hieraus ergebenden Risiken zu belasten.
Bei dem somit aufgrund der Anwendung des italienischen Rechts zu erlassenden Fremdrechtserbschein wird das Nachlassgericht zu berücksichtigen haben, dass sich aus diesem die Anwendung des italienischen Rechts ergibt und weiterhin - wie beantragt – dessen gegenständliche Beschränkung auf den im Inland befindlichen Nachlass (§ 2369 Absatz 1 BGB; vgl. Weidlich in Palandt, a.a.O., § 2369, Rn. 4).

Anmerkung:

Das Urteil ist sehr zweifelhaft. Ein italienisches Gericht würde den Erben gegen den Widerspruch des Pflichtteilsberechtigten niemals eine Erbenbescheinigung erteilen. Das italienische Nachlassverfahren und das deutsche Nachlassverfahren unterscheiden sich zwar - während das italienische Nachlassverfahren ein "echtes" Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist, ist das deutsche Nachlassverfahren eine Zwitter aus Streitverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - auch im Rahmen eines deutschen Verfahrens muss aber auf den Zweck der Ausgestaltung des italienischen Pflichtteils als Noterbrecht - der besondere Schutz des Pflichtteilsberechtigten - berücksichtigen. Dieser ist bei Erteilung eines Erbscheins nicht gegeben. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der Erbe über den Nachlass zum Schaden des Pflichtteilsberechtigten verfügt.  

 

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