Internationale Zuständigkeit bei Erbschein für Nachlassvermögen in Deutschland

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 18.9.2023, Az.: I – 3 Sa 5/23 für Recht erkannt: 

1.

Besaß der Erblasser nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und hatte er in den letzten fünf Jahren vor der Beantragung des Erbscheins seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit hinsichtlich des in Deutschland belegenen Nachlassvermögens – und damit auch für die Erteilung des nur auf dieses Vermögen beschränkten Erbscheins – nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO. Zuständig sind die (Nachlass-)Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet.

2.

Wird die Verweisung an ein anderes Nachlassgericht auf die seit Jahren außer Kraft getretene Vorschrift des 343 Abs. 3 FamFG a.F. gestützt, entfaltet der Verweisungsbeschluss keine Bindungswirkung.

Auszug aus den Gründen: 

"Der Erblasser war der Vater der Beteiligten zu 1 und zu 2. Er war im Zeitpunkt seines Todes ausschließlich kanadischer Staatsangehöriger und hatte seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Coquitam, British Columbia, Canada. Sein letzter Wohnort in Deutschland vor seiner Übersiedlung nach Kanada in den 60er Jahren war Hubbelrath im Kreis Mettmann. Sein in Deutschland belegenes Vermögen beschränkt sich auf Bankguthaben bei der Deutsche Bank AG, Filiale Bautzen.

Der Beteiligte zu 1 hat am 13.10.2022 bei dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Toronto, Kanada, einen Antrag auf Erteilung eines gegenständlich auf das in der Bundesrepublik Deutschland belegene Nachlassvermögen beschränkten gemeinschaftlichen Erbscheins nach dem Erblasser beurkunden lassen. Diesen hat er am 21.10 2022 beim Amtsgericht Mettmann eingereicht.

Das Amtsgericht – Rechtspflegerin – Mettmann hat das Verfahren - nach Anhörung des Beteiligten zu 1 durch die Abteilungsrichterin - mit Beschluss vom 31.05.2023 zur weiteren Sachbearbeitung und Entscheidung an das Amtsgericht Bautzen verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit folge aus § 343 Abs. 3 FamFG. Danach sei bei einem Ausländer, der keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe, das Amtsgericht als Nachlassgericht zuständig, in dessen Bezirk sich Nachlassgegenstände befänden.

Das Amtsgericht – Rechtspflegerin – Bautzen hat sich nach Anhörung des Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 28.08.2023 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache gemäß § 5 FamFG zur Bestimmung der Zuständigkeit an das Oberlandesgericht Düsseldorf abgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mettmann ergebe sich aus der Anwendung von Art. 10 Abs. 2 EuErbVO i.V.m. § 343 Abs. 2 FamFG i.d. seit dem 17.08.2015 geltenden Fassung. Danach sei unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Erblassers das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe, wenn er im Zeitpunkt des Todes keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland gehabt habe. Das Amtsgericht Mettmann habe eine alte Fassung des § 343 FamFG angewendet.

(...)

1. Die deutschen Gerichte sind international zuständig:

Für die internationale Zuständigkeit gilt die EuErbVO, die für alle Erbfälle ab dem 17.08.2015 Anwendung findet (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO) und auch im Verhältnis zu Drittstaaten, im vorliegenden Fall Kanada, Gültigkeit hat (MüKoFamFG/Grziwotz, 3. Aufl. 2019, § 343 Rn. 49 m.w.N.).

Vorliegend hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats (Art. 4 EuErbVO). Daher richtet sich die internationale Zuständigkeit subsidiär nach Art. 10 EuErbVO. Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den gesamten Nachlass nach Art. 10 Abs. 1 EuErbVO besteht nicht, weil sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik zwar Nachlassvermögen befindet, der Erblasser aber weder die deutsche Staatsangehörigkeit besaß (lit. a) noch er in den letzten fünf Jahren vor der Beantragung des Erbscheins beim Amtsgericht Mettmann seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (lit. b). Damit richtet sich die internationale Zuständigkeit nur hinsichtlich des in Deutschland belegenen Nachlassvermögens und damit auch für die Erteilung des nur auf dieses Vermögen beschränkten Erbscheins nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO. Danach sind, wenn sich keine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 EuErbVO ergibt, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen für dieses Nachlassvermögen zuständig.

2. Der Senat ist gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG i.V.m. § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG als nächsthöheres Gericht zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit berufen, nachdem das Amtsgericht Mettmann mit Beschluss vom 31.05.2023 das Verfahren zuständigkeitshalber an das Amtsgericht Bautzen verwiesen hat und dieses mit Beschluss vom 28.08.2023 sich für örtlich unzuständig erklärt hat. Da das nächsthöhere gemeinsame Gericht der Bundesgerichtshof wäre – das Amtsgericht Bautzen liegt im Bezirk des Oberlandesgerichts Dresden – ist gemäß § 5 Abs. 2 FamFG das Oberlandesgericht Düsseldorf zuständig, weil das Amtsgericht Mettmann als das zuerst mit der Sache befasstes Gericht in dessen Bezirk gehört.

Beide Beschlüsse sind als rechtskräftig i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG anzusehen, weil es insoweit allein auf eine den Beteiligten bekannt gemachte ausdrückliche Kompetenzleugnung ankommt (Sternal/Sternal, 21. Aufl. 2023, FamFG § 5 Rn. 27; Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2018 – I-3 Sa 1/18, Rn. 6, juris). Eine Bekanntgabe beider Beschlüsse jedenfalls an den Beteiligten zu 1 ist erfolgt.

Das Verfahren ist auch noch anhängig (zu diesem Erfordernis Sternal/Sternal, a.a.O., § 5 Rn. 44 f.; BayObLG, Beschluss vom 24.05.1988 – AR 1 Z 35/88, Rn. 8, juris), da der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins noch nicht beschieden ist.

3. Zuständig für die Erteilung des beantragten gegenständlich beschränkten Erbscheins ist gemäß §§ 342 Abs. 1 Nr. 6, 352 ff. FamFG das Amtsgericht Mettmann.

3.1. Dem steht dessen Verweisungsbeschluss vom 15.05.2023 an das Amtsgericht Bautzen nicht entgegen.

Zwar ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich für das als zuständig bezeichnete Gericht bindend, § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Eine Bindungswirkung tritt ausnahmsweise in entsprechender Anwendung der zu § 281 ZPO ergangenen Rechtsprechung dann nicht ein, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig ist, so dass sie objektiv willkürlich erscheint. Eine solche Willkür ist anzunehmen, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt oder die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr nachvollziehbar erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Dies gilt auch bei einem Beschluss, der von einer ganz überwiegenden oder fast einhelligen Rechtsauffassung abweicht, auf einem Rechtsirrtum beruht bzw. ansonsten fehlerhaft ist. Offensichtlich gesetzwidrig ist die Entscheidung beispielsweise, wenn sich das verweisende Gericht über eine eindeutige Zuständigkeitsvorschrift hinwegsetzt (Sternal/Sternal, a.a.O., § 3 Rn. 54 m.w.N.; vgl. Senat, Beschluss vom 29.10.2012 – I – 3 Sa 5/12, FGPrax 2013, 27, beck-online).

Vorliegend hat das Amtsgericht Mettmann, wie sich auch aus der Verfügung der Abteilungsrichterin vom 17.05.2023 ergibt, die bereits mit Ablauf des 16.08.2015 außer Kraft getretene Vorschrift des § 343 Abs. 3 FamFG a.F. über die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts angewendet, wonach bei ausländischen Erblassern ohne Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland jedes inländische Gericht örtlich zuständig war, in dessen Bezirk sich Nachlassgegenstände befinden. Damit beruht der Beschluss auf einem offensichtlichen Rechtsirrtum und setzt sich über die eindeutige Zuständigkeitsvorschrift des § 343 Abs. 2 FamFG i.d. seit dem 17.08.2015 geltenden Fassung hinweg.

3.2. Danach ist, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte, das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.

Die Neuregelung unterscheidet, anders als die Vorgängervorschrift, nicht mehr danach, ob der Erblasser Deutscher oder Ausländer ist.

Vorliegend hatte der Erblasser, der zuletzt bis zu seinem Tod in Kanada lebte, seinen letzten gewöhnlichen inländischen Aufenthalt im Bezirk des Amtsgerichts Mettmann:

Der Beteiligte zu 1 hat in einer Email vom 25.04.2023 an das Amtsgericht Mettmann mitgeteilt, dass die letzte Adresse des Erblassers in Deutschland in Hubbelrath, Kreis Mettmann gewesen sei. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Angabe nicht wahrheitsgemäß erfolgt ist. Sie lässt sich mit dem Akteninhalt in Einklang bringen.

So ergibt sich aus dem Erbscheinsantrag in Verbindung mit den eingereichten Unterlagen, dass der in Deutschland geborene Erblasser am 24.02.1962 in Hubbelrath, Mettmann geheiratet hat und der Beteiligte zu 1 am 15.09.1962 als erstes Kind der Eheleute in Mettmann geboren wurde. Seine Schwester, die Beteiligte zu 2, wurde am 07.04.1966 in Vancouver, Kanada geboren. Dies deutet darauf hin, dass die Familie seinerzeit im Kreis Mettmann gewohnt hat und vor der Geburt des zweiten Kindes nach Kanada übergesiedelt ist.

Wie die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bautzen zutreffend ausgeführt hat, ist es unerheblich, dass der Aufenthalt bereits rund 60 Jahre zurückliegt. Der klare Wortlaut der Vorschrift sieht für die Maßgeblichkeit des letzten inländischen Aufenthaltsorts keine zeitliche Grenze vor. Eine Abweichung hiervon gebietet auch nicht der Sinn und Zweck der Vorschrift, zur Schaffung einer effektiven Zuständigkeitsordnung eindeutige Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Gerichts zu schaffen (vgl. mit näherer Begründung KG Berlin, Beschluss vom 18.07.2017 – 1 AR 36/17, FGPrax 2017, 264; MüKoFamFG/Grziwotz, a.a.O., § 343 Rn. 25a; Bumiller/Harders/Schwamb/Harders, 13. Aufl. 2022, FamFG § 343 Rn. 8; a.A. und für die Übertragung der Fünfjahresgrenze aus Art. 10 Abs. 1 lit b) EuErbVO Sternal/Zimmermann, a.a.O., § 343 Rn. 29). Wegen der weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts Bautzen Bezug genommen.

Damit lagen die Voraussetzungen für eine Verweisung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FamFG an das Amtsgericht Bautzen nicht vor."

 

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