Alkoholiker kann testierfähig sein

Der bloße Umstand, dass der Erblasser alkoholabhängig war, genügt nicht für die Annahme, dass er zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.03.2014 - 3 W 62/13).

Aus den Gründen

Das OLG Brandenburg begründete seine Entscheidung zur Testierfähigkeit wie folgt: 

Gemäß § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störungen der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht dazu in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Maßgebend ist die Fähigkeit des Testierenden, die Bedeutung seiner letztwilligen Verfügung zu erkennen und sich bei seiner Willensentschließung von eigenständigen Erwägungen leiten zu lassen (BayOLG Beschluss vom 18.2.2003, 1 Z BR 136/02; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.6.2012, I-3 Wx 273/11,3, FamRZ 2013, 159; Senatsbeschluss vom 6.1.2014 - 3 W 9/13-). Entsprechend dem Grundsatz, dass die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser solange als testierfähig anzusehen, als nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist. Die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit eines Erblassers trifft deshalb grundsätzlich denjenigen, der sich auf die darauf beruhende Unwirksamkeit des Testaments beruft (BayOLG, Beschluss vom 7.9.2004, 1 ZBR 073/04, 1 Z, FamRZ 2005, 555). Im Erbscheinsverfahren verlangt die Klärung der im wesentlichen auf dem Gebiet des Tatsächlichen angesiedelten Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit eines Erblassers gegeben waren, vom Gericht, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären und sich Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen sowie die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu überprüfen. Ergeben sich aus objektivierbaren Tatsachen oder Hilfstatsachen herzuleitende Zweifel an der Testierfähigkeit bei Testamentserrichtung, sind diese regelmäßig durch Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen zu klären (BayOLG, FamRZ 2005, 555; BayOLG, Beschluss vom 18.02.2003, 1 Z BR 136/02; Senatsbeschluss a. a. O.; Palandt/Weidlich, BGB, 73. Aufl., § 2229 Rn. 11, 12). Dies zugrunde gelegt lässt sich vorliegend nicht feststellen, dass der Erblasser bei Abfassung seines Testaments am 10.1.2004 testierunfähig gewesen ist. Die Ausgangshypothese des vom erstinstanzlichen Gericht mit den entsprechenden (medizinischen) Fragen betrauten Sachverständigen Dr. med. Be., im Zweifel sei von bestehender Testierfähigkeit auszugehen, entspricht dabei der geltenden Rechtslage. Der sehr sorgfältig argumentierende Sachverständige führt im Ergebnis seiner Auswertung der aus den Jahren 2003 bis 2005 vorliegenden Arztberichte über den Gesundheitszustand des Erblassers aus, vor dem Hintergrund der geschilderten Symptomatik (Menge des zugestandenen Alkoholkonsums, Suchtdruck, depressives Syndrom) könne die Diagnose einer bei diesem vorliegenden Alkoholabhängigkeit entsprechend Ziff. F10.2 des ICD 10 zwar als sicher bestätigt werden. Das Trinken von Alkohol gehe jedoch weder im gelegentlichen Fall mit dadurch bedingten schädlichen körperlichen Folgen noch im chronischen Fall mit darauf beruhender psychischer Abhängigkeit bereits für sich genommen mit einer Einschränkung der Testierfähigkeit einher. Der Alkoholmissbrauch schränke die Kritik-, Urteils- und Handlungsfähigkeit lediglich vorübergehend für die Phasen der akuten Alkoholintoxikation ein und habe keinen überdauernden Einfluss auf die Testierfähigkeit; das Urteilsvermögen und die eigene Lebenssituation seien bei Suchtkranken zwar typischerweise einseitig bewertet (im Sinne von Bagatellisierung, Leugnung und Rationalisierung der Suchterkrankung sowie deren Folgen), jedoch habe auch diese psychisch einseitige Bewertung keine Auswirkungen auf die Testierfähigkeit. Deren Fehlen könne vielmehr erst erwogen werden, wenn und soweit der Erblasser unter einem organischen Psychosyndrom, einem Demenzsyndrom, einer schizophrenen oder Affektpsychose gelitten habe, wobei die psychopathologischen Symptome einen erheblichen Schweregrad erreicht haben müssten (z. B. schwere Orientierungsstörungen, Personenverkennungen, kognitive Störungen, affektive Veränderungen o. ä., etwa während eines Deliriums). Derartige Erkrankungsbilder zeigten die medizinischen Quellen in der Person des Erblassers indes nicht an. Der insofern erste psychiatrische Befund aus dem Monat Oktober 2004 erweise sich dabei als mit Blick auf seine zeitliche Nähe zur Testierung besonders relevant. Der Erblasser habe insoweit eine BAK von 1,88 mg/g aufgewiesen und gleichwohl nur eine leichte Entzugssymptomatik gezeigt; die insoweit auffälligen diskreten Störungen der Konzentration und des Kurzzeitgedächtnisses seien vor dem Hintergrund der Alkoholisierung und Entzugsproblematik zu werten und könnten deshalb gerade nicht verallgemeinernd in Zukunft oder Vergangenheit projiziert werden; vielmehr sei davon auszugehen, dass der psychopathologische Befund beim Erblasser ohne Alkoholisierung bzw. Entzugsproblematik besser gewesen wäre, so dass sich hieraus keine hirnorganischen Einschränkungen nachzeichnen ließen. Nichts anderes weise der Krankenhausbericht vom 29.12.2004 aus, dem eine zwölfwöchige stationäre Behandlung der fortgeschrittenen chronifizierten Alkoholabhängigkeit des Erblassers vorausgegangen sei. Im entsprechenden Aufnahmebefund sei lediglich undifferenziert von leichten Störungen der Konzentration und des Gedächtnisses berichtet worden; beides sei indes nicht weiter reflektiert oder gar untersucht worden, und zwar mutmaßlich deshalb, weil die Veränderungen so leicht ausgeprägt gewesen sei, dass dies für die weitere Diagnostizierung unerheblich gewesen sei. Aus neurologischer Sicht sei vielmehr relevant, dass über die Suchterkrankung hinaus keine wesentlichen psychiatrischen Störungen der Geistestätigkeit des Erblassers bekanntgeworden seien. Da sich zudem weder aus der Urkunde vom 10.1.2004 Anhaltspunkte für eine akute Störung der Geistestätigkeit herleiten ließen noch der Erblasser über seine Familienstrukturen im Unklaren gewesen sei, ergebe sich zusammenfassend, dass keine Testierunfähigkeit im Zeitpunkt der Testamentserrichtung in Betracht komme.

Anmerkungen

  • Dem Urteil liegt auf der Linie der bisher ergangen Rechtsprechung und ist im Grundsatz zu begrüßen: Nicht jeder Alkoholkranke ist wegen seiner Erkrankung gleich (dauerhaft) testierunfähig.
  • In nicht wenigen Fällen sind Alkoholiker aber im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig. Oftmals kommen auch weitere Krankheiten hinzu, z.B. Demenz oder Depression. Wichtig ist es daher Informationen über den Tag der Errichtung zu sammeln. 
  • Das OLG Brandenburg hat seine Entscheidung weitgehend auf die Einschätzung des Gutachters gestützt. Dass Gerichte die Darstellung des Gutachters übernehmen, ist weit verbreitete Praxis, auch wenn Gutachten längst nicht immer überzeugend sind. Aufgabe des Anwaltes ist es daher, das Gutachten nach (Denk-) Fehlern zu prüfen. 
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