OLG Hamm zum Erfordernis des Bleibewillens für einen gewöhnlichen Aufenthalt

Leitsätze

1. Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers i.S.d. Art. 4 EuErbVo ist neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch das subjektive Element, nämlich der Aufenthalts- und Bleibewille, erforderlich.

Eine im Rahmen der Trennung der Eheleute bedingte Wohnsitznahme in der im Eigentum stehenden, in Spanien gelegenen Immobilie reicht nicht aus, wenn sie lediglich der Praktikabilität geschuldet war und der Erblasser krankheitsbedingt vor seinem Tod nicht nach Deutschland zurückkehren konnte.

2. Ein Testament, in dem der Erblasser zu gleichen Teilen seine Kinder als alleinige Erben einsetzt und dabei seine beiden Töchter aus zweiter Ehe, nicht aber die Töchter aus erster Ehe namentlich benennt, kann als Erbeinsetzung nur der Kinder aus der zweiten Ehe ausgelegt werden.

3. Eine Verpflichtung zur Erhebung des Strengbeweises besteht gemäß § 30 Abs. 3 FamFG nur dann, wenn das Gericht das Ergebnis des vorgeschalteteten Freibeweisverfahrens seiner Entscheidung zugrunde legen will.

OLG Hamm, Beschl. v. 10.7.2020 – 10 W 108/18

Auszug aus den Gründen

Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ i.S.d. Art. 4 EuErbVO ist unter Heranziehung der Erwägungsgründe (23) und (24) zu bestimmen. Insoweit ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände vorzunehmen, insbesondere der Dauer und der Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers im Zweitstaat, der besonders engen Bindung an einen Staat, der Sprachkenntnisse, der Lage des Vermögens (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26. April 2016 – 1 AR 8/16 –, juris; OLG München, Beschluss vom 22. März 2017 – 31 AR 47/17 –, juris, jeweils m.w.Nw.). Daraus ergibt sich, dass in Bezug auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen ist, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (Keidel/Zimmermann, FamFG, § 343 Rn. 62). Der Senat hält auch an seiner Auffassung fest, dass für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element, nämlich ein Aufenthalts- bzw. Bleibewille, erforderlich ist (Keidel/Zimmermann, FamFG, § 343 Rn. 67).

Anmerkung

Die Auffassung, dass ein Bleibewille (aninmus manendi) Voraussetzung für die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts ist, ist verfehlt. Ein solches Erfordernis ist der EuErbVO und den Erwägungsgründen (EG) hierzu nicht zu entnehmen. Vielmehr ist der Wille - gleich worauf gerichtet - nur ein (unter Umständen gewichtiges) Kriterium in der erforderlichen Gesamtabwägung. 

Allerdings meint auch das OLG Hamm, dass subjektive Elemente nicht für sich allein geeignet sind, entgegen der objektiven Gestaltung der übrigen Lebensverhältnisse einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018, 10 W 34/17ZEV 2018, 343, juris, Rn.7, Beschluss vom 17.12.2019, 15 W 488/17, BeckRS 2019, 44890, Rn. 4), worauf das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.09.2020 - 21 W 59/20) hinweist. Die Entscheidung des OLG Hamm sollte daher nicht überbewertet werden.  

Glossar: Gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der EuErbVO

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