Leitsätze (des Verfassers):
1. Um einen entsprechenden Willen annehmen zu können, muss ausgeschlossen werden können, dass diese Erwartung sich zumindest wesentlich mitbestimmend ausgewirkt hat.
2. Für die Feststellung des Aufrechterhaltungswillens kommt es auf den Zeitpunkt der Errichtung des fraglichen Testaments an.
3. Der Umstand, dass sich die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten wechselbezüglich war, ist ein Indiz gegen das Bestehen eines Aufrechterhaltungswillen.
4. Der Wille des Erblassers ist aufgrund einer Auslegung des gesamten Testaments - unter Einbeziehung aller zu seinem Verständnis erheblichen Umstände auch außerhalb der Urkunde - zu ermitteln.
6. Bekundungen des Erblassers nach Errichtung des Testaments können ein Indiz für den Aufrechterhaltungswillen sein.
OLG Schleswig, Beschluss vom 08.10.2012 - 3 Wx 153/11
Hintergrund
Gemäß § 2077 Abs. 2 BGB wird eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tode des Erblassers aufgelöst worden ist. Der Auflösung der Ehe steht es gleich, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Gemäß § 2077 Abs. 2 BGB ist die Verfügung (in einem Testament) - ausnahmsweise – wirksam, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für einen solchen Fall getroffen haben würde. Der Erblasser muss also den Willen gehabt haben, dass das Testament auch für den Fall der Scheidung aufrechterhalten bleibt (Aufrechterhaltungswille). Dieser Wille muss im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bestanden haben. Der Erblasser muss bei Errichtung des Testaments auch für den Fall einer Ehescheidung gewollt haben, dass das Testament nicht unwirksam wird. Ist der (wirkliche oder hypothetische) Aufrechterhaltungswille des Testierenden nicht aufzuklären, ist das Testament unwirksam.
Anmerkungen
1) Das OLG Schleswig bestätigt die bereits zuvor von Gerichten aufgestellten Rechtssätze, welche von Nachlassgerichten leider immer wieder verkannt werden.
2) Das OLG Schleswig hat sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob eine Auslegung des Testaments überhaupt zulässig war.