Ergänzende Testamentsauslegung
Im Gegensatz zur unmittelbaren oder erläuternden Testamentsauslegung zielt die ergänzende Testamentsauslegung ab auf die Schließung einer planwidrigen Regelungslücke im Testament. Es wird also bei der ergänzenden Testamentsauslegung nicht der mutmaßlich wirkliche Willen des Erblassers, sondern der Willen, den er vermutlich gehabt hätte, wenn er die planwidrige Unvollkommenheit der letztwilligen Verfügung im Zeitpunkt ihrer Errichtung erkannt hätte, festgestellt. Insoweit darf ein den Verhältnissen entsprechender Erblasserwille nur unterstellt werden, wenn er auf eine bestimmte, durch Auslegung der letztwilligen Verfügung erkenn- bare Willensrichtung des Erblassers zurückgeführt werden kann (BGH vom 12. Juli 2017, IV ZB 15/16). Das Testament ist „weiter und zu Ende zu denken“ (BayObLG FamRZ 1986, 606,608). Zu fragen ist, wie der Erblasser seine Verfügung inhaltlich gestaltet hätte, wenn er bei Errichtung des Testaments die später eingetretene Entwicklung der für ihn relevanten Verhältnisse vorausschauend berücksichtigt hätte. Eine Voraussicht der Zukunft in allen Einzelheiten, d.h. einen allwissenden Erblasser, hat man sich dabei nicht vorzustellen; denn ein solcher hypothetischer Wille wäre realitätsfremd und würde daher nicht dem Sinn der an das Testament und die reale Willensrichtung anknüpfenden ergänzenden Auslegung entsprechen. Vielmehr ist zu erwägen, wie der Erblasser testiert hätte, wenn er die Möglichkeit der späteren Entwicklung in ihren wesentlichen Zügen bedacht hätte (OLG München, ZEV 2006, 456, 457). Lässt sich kein vom Wortlaut der Verfügung abweichender realer oder hypothetischer Wille ermitteln, verbleibt es bei der Auslegung entsprechend dem Wortlaut (BGH vom 12. Juli 2017, IV ZB 15/16; OLG Hamm, FamRZ 1997, 121, 123). Eine Testamentsanfechtung tritt hinter der ergänzenden Testamentsauslegung zurück.