Der BFH hat mit Urteil vom 03. Dezember 2024, IX R 32/22 entschieden, dass § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AStG für Drittstaatenfälle (hier Schweizerische Familienstiftung) gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt und eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 6 AStG geboten sein kann.
Leitsätze
1. Unter einer für die Anfallsberechtigung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) erforderlichen gesicherten Rechtsposition ist die bei objektiver Betrachtungsweise bestehende begründete Aussicht eines Steuerpflichtigen zu verstehen, im Fall der Liquidation der Stiftung Auskehrungen zu erhalten.
2. Die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger als anfallsberechtigt anzusehen ist, erfolgt nach dem Prinzip der veranlagungszeitraumbezogenen Besteuerung.
3. Zur Abwendung eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist es wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts für die Anwendung von § 15 Abs. 6 AStG unschädlich, wenn die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, sondern in einem Drittstaat hat.
4. Für die Beurteilung, ob das Stiftungsvermögen gemäß § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG der Verfügungsmacht der in Abs. 2 und 3 genannten Personen "rechtlich und tatsächlich" entzogen ist, kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage an.
Auszug aus den Gründen
"a) § 15 Abs. 6 AStG findet über den Wortlaut hinaus auch auf Drittstaatensachverhalte Anwendung (vgl. Schönfeld/Baßler in Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 15 AStG Rz 263 ff.; Haag/Faltenbacher, IStR 2017, 89, 94). Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens verstößt gegen die auch für Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ‑‑zuvor Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft‑‑ (dazu unter aa). Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht gebietet es, auch ausländische Familienstiftungen mit Sitz in einem Drittstaat der Regelung des § 15 Abs. 6 AStG zu unterwerfen (dazu unter bb).
aa) Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 6 AStG auf Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens beschränkt die Kapitalverkehrsfreiheit (dazu unter aaa) in unzulässiger (dazu unter bbb) und nicht gerechtfertigter Weise (dazu unter ccc).
aaa) Die Kapitalverkehrsfreiheit verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (Art. 63 Abs. 1 AEUV).
(1) Art. 63 AEUV findet in zeitlicher Hinsicht auf den Streitfall Anwendung. Entgegen der Ansicht des FA ist nicht auf einen früheren Rechtsstand, insbesondere auf den des Zeitpunkts der Errichtung der Z-Stiftung, abzustellen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist am 01.12.2009 in Kraft getreten (Art. 357 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Eine Regelung, die eine Anwendbarkeit auf bereits vor Inkrafttreten von Art. 63 AEUV verwirklichte Sachverhalte ausschließt, fehlt.
(2) Abweichend zur Auffassung des FA kommt es nicht darauf an, inwieweit die Feststellungsbeteiligten individuell durch die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG in ihren Grundfreiheiten betroffen sind. Die Kapitalverkehrsfreiheit verpflichtet generell die Mitgliedstaaten, diesbezüglich einschränkende Maßnahmen zu unterlassen. Auf eine individuelle Betroffenheit kommt es nicht an (vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 4 Rz 82; Watrin/Eberhardt, Betriebs-Berater 2014, 2967, 2970).
Insoweit kann der Senat dahinstehen lassen, inwiefern die Bestellung als Destinatär bereits in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt. Denn jedenfalls fällt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) unter anderem die Einbringung des Stiftungsvermögens in die Stiftung bei deren Gründung unter den Begriff "Kapitalverkehr" im Sinne des Art. 63 Abs. 1 AEUV (EuGH-Urteil F.E. Familienprivatstiftung Eisenstadt vom 17.09.2015 - C-589/13, EU:C:2015:612, Rz 39).
(3) Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit wird vorliegend nicht durch die ‑‑Drittstaatensachverhalte nicht berührende‑‑ Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verdrängt.
Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen (Kontrollbeteiligung beziehungsweise Direktinvestition), fällt in den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit, während nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll (Streubesitzbeteiligung beziehungsweise Portfoliobeteiligung), ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen sind (EuGH-Urteil Gallaher vom 16.02.2023 - C-707/20, EU:C:2023:101, Rz 56, m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben wird der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegend nicht von der Niederlassungsfreiheit verdrängt (so im Ergebnis auch Schönfeld/Baßler in Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 15 AStG Rz 46; Kraft in Kraft, AStG, 2. Aufl., § 15 Rz 105; a.A. Rundshagen in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 15 AStG Rz 30; Kraft/Hause, Der Betrieb 2006, 414, 415). Entscheidend für die Anwendung der Zurechnungsbesteuerung sind nach § 15 Abs. 2 AStG die Verhältnisse der Bezugs- beziehungsweise Anfallsberechtigungen. Für die Bestimmung dieser kommt es jedoch nicht darauf an, inwieweit einer Person ein sicherer Einfluss auf die Entscheidungen einer ausländischen Stiftung und deren Tätigkeit möglich ist. Liegt ein solcher vor, ist die Stiftung bereits regelmäßig als steuerlich transparent zu behandeln (vgl. BFH-Urteil vom 05.11.1992 - I R 39/92, BFHE 170, 62, BStBl II 1993, 388, unter II.2.; BTDrucks 16/10189, S. 78), so dass es bereits deshalb zu keiner Zurechnungsbesteuerung kommt.
(4) Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG schränkt die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV garantierte Kapitalverkehrsfreiheit ein.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gehören zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (statt vieler EuGH-Urteil L Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339, Rz 49, m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben liegt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG vor. Die steuerlichen Implikationen der Zurechnungsbesteuerung können einen potentiellen Stifter davon abhalten, eine Stiftung im Ausland zu errichten und ihn stattdessen dazu bewegen, eine Stiftung im Inland aufzusetzen.
Zwar unterliegen nach § 15 Abs. 11 Satz 1 AStG Zuwendungen der ausländischen Familienstiftung bei den Zurechnungssubjekten nicht der Besteuerung, soweit die den Zuwendungen zugrunde liegenden Einkünfte nachweislich bereits zugerechnet worden sind. Dies vermag die Benachteiligung ausländischer Stiftungen durch die Zurechnungsbesteuerung jedoch nicht auszugleichen. Die Regelung greift bereits ins Leere, soweit die ausländische Stiftung ihre Einkünfte thesauriert und nicht ausschüttet. Auch wenn die Einkünfte ausgekehrt werden und nach § 15 Abs. 11 Satz 1 AStG eine Besteuerung unterbleibt, verbleibt ein Zinsnachteil. Dieser ergibt sich, soweit die auf den Zurechnungsbetrag entfallende Steuer früher anfällt als die Steuerlast auf die tatsächliche Auskehrung der Einkünfte. Im Übrigen wurde § 15 Abs. 11 Satz 1 AStG erst durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.06.2013 (BGBl I 2013, 1809) ‑‑AmtshilfeRLUmsG‑‑ mit Wirkung ab dem 01.01.2013 (Art. 31 Abs. 3 AmtshilfeRLUmsG) in § 15 AStG eingefügt und findet somit auf das Streitjahr 2012 (anders als in 2013 bis 2016) keine Anwendung.
bbb) Die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG ist nicht aufgrund Art. 64 Abs. 1 AEUV zulässig.
(1) Nach Art. 64 Abs. 1 AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf Drittstaaten, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit Drittstaaten im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen. Unter den Begriff der Direktinvestition sind direkte Investitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Besitz von Anteilen zu verstehen, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 26; vgl. Anhang I I. "Direktinvestitionen" sowie Begriffsbestimmungen "Direktinvestitionen" der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.06.1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABlEG 1988, Nr. L 178, 5).
(2) Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG in der in den Streitjahren gültigen Fassung erfüllt diese Anforderungen nicht. Soweit diese einen potentiellen Stifter von der Errichtung einer Stiftung im Ausland abhalten könnte, gehört die Dotation des Stiftungsvermögens nicht zu den in Art. 64 Abs. 1 AEUV aufgezählten Kapitalbewegungen. Insbesondere handelt es sich um keine Direktinvestition, weil dem Stifter keine Beteiligung an der Stiftung gewährt wird, die es ihm ermöglicht, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen (vgl. Moser, Die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 bis 14 AStG und die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen nach § 15 AStG, S. 203).
ccc) Die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG ist nicht nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV gerechtfertigt.
(1) Nach dieser Regelung berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Diese Bestimmung kann somit nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (EuGH-Urteile X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 60, m.w.N.; BA [Successions - Politique sociale de logement dans l'Union] vom 12.10.2023 - C-670/21, EU:C:2023:763, Rz 54). Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen dürfen nämlich nach dessen Abs. 3 weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung darstellen. Daher sind solche Ungleichbehandlungen nur zulässig, wenn sie Situationen betreffen, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder anderenfalls, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 61, m.w.N.). Für die Prüfung der Vergleichbarkeit ist nach der Rechtsprechung des EuGH zum einen die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels sowie ihres Zwecks und ihres Inhalts zu prüfen. Zum anderen sind für die Beurteilung, ob die unterschiedliche Behandlung aufgrund einer derartigen Regelung einem objektiven Unterschied der Situationen entspricht, nur die von der betreffenden Regelung aufgestellten maßgeblichen Unterscheidungskriterien zu berücksichtigen (EuGH-Urteil L Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339, Rz 54, m.w.N.). Liegt danach eine objektive Vergleichbarkeit vor, ist bei der für die Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erforderlichen Beurteilung, ob die Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, auch zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, sowie nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 70, m.w.N.).
(2) Diesen Anforderungen wird § 15 AStG nicht vollständig gerecht.
Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG dient generell der Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung durch die Errichtung ausländischer Familienstiftungen (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, unter II.2.a; vgl. BTDrucks 16/10189, S. 79). Die weitergehende Auffassung des FG, die Zurechnungsbesteuerung bezwecke, der Verlagerung von "passiven Einkünften" unbeschränkt steuerpflichtiger Personen auf ausländische Stiftungen entgegenzuwirken, die in Gebieten errichtet werden, in denen das Besteuerungsniveau niedriger ist, ist dagegen abzulehnen. Denn § 15 AStG knüpft weder daran an, ob die ausländische Stiftung aktive oder passive Einkünfte erzielt, noch ist es für die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG entscheidend, welchem Besteuerungsniveau die ausländische Stiftung unterliegt ‑‑anders jeweils bei den Regelungen über die Hinzurechnungsbesteuerung in §§ 7 bis 14 AStG‑‑. Unter Berücksichtigung des so definierten Zwecks ist die Situation inländischer und ausländischer Stiftungen miteinander objektiv vergleichbar. Vor diesem Hintergrund ergeben sich ‑‑bei der vorliegend gebotenen restriktiven Sichtweise‑‑ keine relevanten Unterschiede zwischen inländischen und ausländischen Stiftungen. So unterfallen der Zurechnungsbesteuerung nur solche ausländischen Stiftungen, die nach einem Rechtstypenvergleich einer inländischen Stiftung entsprechen. Auch die Begrenzung der Möglichkeiten der Finanzverwaltung zur Sachverhaltsermittlung bei Auslandssachverhalten rechtfertigt es nicht, die Vergleichbarkeit inländischer und ausländischer Stiftungen in Frage zu stellen. Zwar haben die Finanzbehörden bei Auslandssachverhalten ‑‑anders als bei inländischen Stiftungen, bei denen für die Finanzverwaltung verschiedene Ermittlungsmöglichkeiten nach §§ 88 ff. der Abgabenordnung (AO) zur Verfügung stehen‑‑ nur begrenzte Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und sind im Wesentlichen auf die gesteigerte Mitwirkung der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 AO angewiesen. Dieser Umstand ist aber nicht geeignet, die Vergleichbarkeit abzulehnen, da anderenfalls generell eine Vergleichbarkeit von Auslands- und Inlandssachverhalten zu verneinen wäre.
(3) Diese objektive Ungleichbehandlung ist nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.
(a) Im Hinblick auf die Hinzurechnungsbesteuerung im Sinne von §§ 7 bis 14 AStG hat der EuGH in der Rechtssache X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 unter anderem die Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung als einen eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigenden zwingenden Grund des Allgemeininteresses angesehen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 75). Diese Rechtsprechung ist auf die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG übertragbar. Die Zurechnungsbesteuerung dient ‑‑wie dargelegt‑‑ der Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung und damit ebenfalls der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung.
(b) Zur Erreichung dieses Ziels hält der Senat die Zurechnung des Einkommens (für 2012) beziehungsweise der Einkünfte (für 2013 bis 2016) einer ausländischen Stiftung gemäß § 15 AStG für geeignet. Indem dem Stifter, soweit dieser im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist, ansonsten den im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- beziehungsweise Anfallsberechtigten, das Einkommen (für 2012) beziehungsweise die Einkünfte (für 2013 bis 2016) der ausländischen Stiftung zugerechnet werden, werden diese der Besteuerung ungeachtet dessen zugeführt, inwieweit diese anderweitig gegenüber dem Finanzamt durch den Stifter beziehungsweise die Bezugs- oder Anfallsberechtigten offengelegt werden.
(c) Allerdings geht die ausnahmslose Zurechnung des Einkommens beziehungsweise der Einkünfte der ausländischen Stiftung über das Erforderliche hinaus. Zwar rechtfertigt die Ausnahme nach § 15 Abs. 6 AStG den mit der Zurechnungsbesteuerung verbundenen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit. Jedoch findet § 15 Abs. 6 AStG seinem Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung.
(aa) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zur Beschränkung der Grundfreiheiten wegen der Zurechnung von Einkünften ausländischer Gesellschaften kann der bloße Umstand, dass eine gebietsansässige Gesellschaft eine Beteiligung an einer anderen, in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft hält, als solcher keine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung begründen und damit eine steuerliche Maßnahme rechtfertigen, die den freien Kapitalverkehr beeinträchtigt. Eine Rechtfertigung kann sich aber daraus ergeben, wenn die den freien Kapitalverkehr beschränkende nationale Maßnahme speziell darauf abzielt, Verhaltensweisen entgegenzuwirken, durch die rein künstliche Gestaltungen errichtet werden (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 80, m.w.N.). Die "künstliche Gestaltung" umfasst im Kontext des freien Kapitalverkehrs jede Vorkehrung, bei der das Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in Drittstaaten mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 84). Ferner muss eine die Kapitalverkehrsfreiheit beschränkende nationale Regelung nach der Rechtsprechung des EuGH, damit sie in angemessenem Verhältnis zum Ziel der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung steht, in jedem Fall, in dem künstliche Vorgänge nicht auszuschließen sind, den Steuerpflichtigen, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des betreffenden Geschäfts beizubringen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 87, m.w.N.). Wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Bedingungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittstaats eingeholt werden, ist es zudem grundsätzlich gerechtfertigt, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, die Auskünfte von ihm zu erhalten (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 92, m.w.N.).
(bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist die Zurechnungsbesteuerung der Familienstiftungen gemäß § 15 Abs. 1, 2 AStG durch §15 Abs. 6 AStG im Grundsatz unionsrechtskonform ausgestaltet (aaa). Sie geht aber insoweit über das erforderliche Maß hinaus, als § 15 Abs. 6 AStG dem Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung findet (bbb).
(aaa) Die Zurechnungsbesteuerung ist verhältnismäßig, als nur Familienstiftungen im Sinne von § 15 Abs. 2 AStG erfasst werden. Insbesondere der familiäre Zusammenhang, in dem sich solche Stiftungen bewegen, lässt die Vermögensübertragung vom Stifter auf eine ausländische Stiftung als rein künstliche Gestaltung zur Umgehung der Besteuerung in Deutschland erscheinen. So heißt es bereits im Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag vom 23.06.1964 (BTDrucks IV/2412) über die Wettbewerbsverfälschungen, die sich aus Sitzverlagerungen und aus dem zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben können, dass Inländer auch versuchen, Steuervorteile dadurch zu erzielen, dass sie Vermögenswerte auf ihnen nahestehende Personen in einen niedrig besteuernden Staat treuhänderisch übertragen und dass in diesem Zusammenhang auch die Errichtung von Familienstiftungen, in denen das Vermögen unter günstigem Steuerklima angesammelt wird, zu erwähnen sei (BTDrucks IV/2412, S. 8). Insoweit besteht im Grundsatz auch die Möglichkeit, die Zurechnungsbesteuerung durch den Nachweis zu vermeiden, dass die Vermögensübertragung endgültig und damit nicht nur rein künstlich ist. Dem entsprechend unterbleibt die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG, wenn unter anderem nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 und 3 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist. Die Regelung wurde vor dem Hintergrund der aufkommenden Bedenken bezüglich der Zurechnungsbesteuerung im Kontext der Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zur Kapitalverkehrsfreiheit in § 15 AStG eingefügt (BTDrucks 16/10189, S. 78).
Es geht ebenfalls nicht über das erforderliche Maß zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung hinaus, soweit § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG für eine Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung voraussetzt, dass zwischen Deutschland und dem Staat, in dem die Familienstiftung eine Geschäftsleitung oder einen Sitz hat, aufgrund der Richtlinie 77/799/EWG (für 2012) beziehungsweise aufgrund der Amtshilferichtlinie (für 2013 bis 2016) oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen. Die Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung stellt sich als ein Vorteil dar, weshalb es nach der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH nicht zu beanstanden ist, sie an eine entsprechende vertragliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung des Staats der Geschäftsleitung oder des Sitzes der ausländischen Stiftung zu knüpfen (EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136, Rz 92, m.w.N.).
(bbb) § 15 Abs. 6 AStG greift jedoch zu kurz, wenn die Regelung nur ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, hingegen nicht in Drittstaaten, erfasst. Ohne die Möglichkeit des Nachweises der Verselbständigung des Stiftungsvermögens im Sinne von § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG geht die Zurechnungsbesteuerung über das Erforderliche hinaus. Denn die Kapitalverkehrsfreiheit gilt nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern (Art. 63 Abs. 1 AEUV).
bb) Zur Abwendung dieses Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist das "europarechtswidrige Tatbestandsmerkmal" wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht zu beachten (vgl. EuGH-Urteil AES-3C Maritza East 1 vom 18.07.2013 - C-124/12, EU:C:2013:488, Rz 53; BFH-Urteil vom 27.10.2021 - X R 11/20, BFHE 275, 52, Rz 27, m.w.N.), so dass § 15 Abs. 6 AStG auch auf Familienstiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung findet.
Der Anwendungsvorrang ist im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion zugunsten des unionsrechtswidrig Belasteten sicherzustellen (vgl. zu dieser Form der Rechtsfortbildung BFH-Urteile vom 21.10.2009 - I R 114/08, BFHE 227, 64, BStBl II 2010, 774; vom 03.02.2010 - I R 21/06, BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692; vom 15.01.2015 - I R 69/12, BFHE 249, 99, BStBl II 2024, 720, m.w.N.; vom 11.10.2023 - I R 23/23 (I R 33/17), BFHE 282, 355 und vom 13.03.2024 - I R 1/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 33; zudem Reimer in Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 8.59).
Nach diesen Grundsätzen ist es geboten, die Einschränkung in § 15 Abs. 6 AStG auf ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens unbeachtet zu lassen, so dass auch Familienstiftungen in Drittstaaten erfasst werden."
Anmerkung
1.
Das Urteil dürfte auch auf die Zurechnung der Einkünfte einer Familien-Vermögensmasse übertragen werden können. Da viele Trusts als Familien-Vermögensmasse einzuordnen sind, ist dies für die Nachlassplanung und Verwaltung eines solchen Trusts von erheblicher Bedeutung.
2.
Geht man davon aus, dass das Urteil auch auf eine Familien-Vermögensmasse anwendbar ist, erfolgt nach § 15 Abs. 6 AStG auch dann keine Zurechnung der Einkünfte eines solchen Trusts, wenn
- nachgewiesen wird, dass das Trust-Vermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 und 3 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist und
- zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat, in dem der Trust seine Geschäftsleitung oder Sitz hat, auf Grund der Amtshilferichtlinie gemäß § 2 Absatz 11 des EU-Amtshilfegesetzes oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen.
Letzteres ist bei Sitz des Trusts in einem Staat, mit dem nach einem Doppelbesteuerungsabkommen ein umfassender Informationsaustausch erfolgt. Dies ist inbesondere im Verhältnis zur USA der Fall, siehe Art. 26 DBA-USA-ESt.
Informationen zur Ertragsbesteuerung von US-amerikanischen Trusts finden Sie in dem Beitrag Besteuerung der Einkünfte eines US-amerikanischen Trusts.