Anwendungsbereich
Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) enthält in den Art. 4 ff. EuErbVO Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in "Erbsachen".
Hierunter fallen nicht-Streitverfahren (z.B. Verfahren zur Erteilung eines Erbscheins, Testamentsvollstreckerzeugnisses oder Europäischen Nachlasszeugnisses) und Streitverfahren (Klage auf Pflichtteil oder Erteilung).
Nicht hierunter fallen Verfahren betreffend die Voraussetzungen der Eintragung in ein Register, z.B. Handelsregister oder Grundbuch.
Erblasser hatte seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat
Hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat im Sinne der EuErbVO, ist zwischen der Allgemeinen Zuständigkeit und der Zuständigkeit bei Rechtswahl zu unterscheiden.
Allgemeine Zuständigkeit
Für den gesamten Nachlass sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 4 EuErbVO).
Beispiel: Erblasser E, deutscher Staatsangehöriger, ist am 20.08.2017 verstorben. Zum Zeitpunkt seines Todes war sein gewöhnlicher Aufenthalt in Marbella, Spanien. Somit sind die Gerichte Spaniens international zuständig.
Unzuständigkeit bei Rechtswahl
Hat der Erblasser von der Möglichkeit zur Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO oder Art. 83 Abs. 3 EuErbVO (vgl. EuGH, Urteil vom 9.9.2021 Rechtssache C‑422/20) Gebrauch gemacht,
- kann sich das Gericht nach Art. 4 zuständige Gericht auf Antrag einer Partei des Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 EuErbVO für unzuständig erklären, wenn seines Erachtens die Gerichte des Mitgliedstaats des gewählten Rechts besser entscheiden können; dabei soll es die konkreten Umstände des Falls berücksichtigt, z.B. den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien und den Ort, an dem die Vermögenswerte belegen sind. In diesem Fall ist das Recht des Staates, dessen Erbrecht der Erblasser gewählt hat, zuständig, siehe Art. 7 Abs. 1 EuErbVO.
- so können die Parteien des Verfahrens gemäß Art. 5 EuErbVO vereinbaren, dass für Entscheidungen in Erbsachen ausschließlich ein Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig sein sollen; in diesem Fall ist das Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt unzuständig, § 6 Abs. 2 EuErbVO.
Beispiel: Erblasser E hat in vorgehendem Beispiel in seinem Testament deutsches Erbrecht gewählt. Die testamentarischen Erben und die gesetzlichen Erben streiten über die Wirksamkeit des Testaments. Nachdem man sich über eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht einigen konnte, beantragt der Kläger, F, damit, dass sich Gericht für unzuständig erklärt. Den Antrag begründet damit, dass die testamentarischen Erben und gesetzlichen Erben in Deutschland leben, der Nachlass überwiegend in Deutschland belegen ist und alle Dokumente in deutscher Sprache verfasst sind.
Die Unzuständigkeitserkärung des zuerst angerufenen Gerichts kann sich aus den Gründen ergeben (EuGH, Urteil vom 9.9.2021 Rechtssache C‑422/20).
Zuständigkeit bei Rechtswahl
Die Gerichte eines Mitgliedstaats, dessen Recht der Erblasser nach Artikel 22 gewählt hat, sind gemäß Art. 7 EuErbVO für die Entscheidungen in einer Erbsache zuständig, wenn
- sich ein zuvor angerufenes Gericht nach Artikel 6 in derselben Sache für unzuständig erklärt hat,
- die Verfahrensparteien nach Artikel 5 die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte dieses Mitgliedstaats vereinbart haben oder
- die Verfahrensparteien die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausdrücklich anerkannt haben.
Beispiel: Nachdem das spanische Gericht sich für unzuständig erklärt hat, erhebt F Klage in einem deutschen Gericht. Dieses ist nun international zuständig.
Wenn nicht alle Parteien des Verfahrens der Gerichtstandsvereinbarung angehören und dies nicht rügen, ist das Gericht gleichwohl zuständig, siehe Art. 9 Abs. 1 EuErbVO. Wird der Mangel der Zuständigkeit des in Absatz 1 genannten Gerichts von Verfahrensparteien gerügt, die der Vereinbarung nicht angehören, so erklärt sich das Gericht für unzuständig, siehe Art. 9 Abs. 2 EuErbVO. In diesem Fall sind die nach Artikel 4 oder Artikel 10 zuständigen Gerichte für die Entscheidung in der Erbsache zuständig.
Erblasser hatte keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat (Subsidiäre Zuständigkeit)
Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat, so sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich die Nachlassmasse befindet, zuständig, wenn der Erblasser die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats im Zeitpunkt seines Todes besaß (Art. 10 Abs. 1 a) EuErbVO).
Beispiel: Erblasser E, deutscher Staatsangehöriger, lebte bei seinem Tod bereits 20 Jahre in Miami, Florida. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er in Deutschland noch ein Konto und Depot. Wegen seiner Staatsangehörigkeit sind deutsche Gerichte zuständig.
Ergibt sich aus dem vorstehenden keine Zuständigkeit, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, zuständig, sofern
- der Erblasser seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthalt in dem Mitgliedstaat hatte und
- die Änderung dieses gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts nicht länger als 5 Jahre zurückliegt (Art. 10 Abs. 1 b) EuErbVO).
Beispiel: Erblasser E hatte seine Staatsangehörigkeit durch Annahme der US-Staatsangehörigkeit verloren. War sein letzter gewöhnlicher Aufenthalt in den letzten 5 Jahren vor dem Tod in Deutschland, sind deutsche Gerichte zuständig.
Ist kein Gericht in einem Mitgliedstaat nach vorstehenden Regeln zuständig, so sind dennoch die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen über dieses Nachlassvermögen zuständig (Art. 10 Abs. 2 EuErbVO).
Vermögen in einem Drittstaat: Beschränkung des Verfahrens
Umfasst der Nachlass des Erblassers Vermögenswerte, die in einem Drittstaat, z.B. USA oder dem Vereinigten Königreich, belegen sind, so kann das Gericht auf Antrag beschließen, über einen oder mehrere dieser Vermögenswerte nicht zu befinden, wenn
- zu erwarten ist, dass seine Entscheidung in Bezug auf diese Vermögenswerte in dem betreffenden Drittstaat nicht anerkannt oder
- gegebenenfalls nicht für vollstreckbar erklärt wird (Art. 12 EuErbVO).