Europäisches Nachlasszeugnis - Zuständigkeit, Antrag, Wirkungen, Gültigkeitsdauer

Bei einem Erbfall mit Bezügen zum Ausland kann ein Europäisches Nachlasszeugnis erforderlich sein. Der Beitrag erläutert einführend, welche Gerichte für die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses zuständig sind, was bei Beantragung zu beachten ist und welche Wirkungen das Europäische Nachlasszeugnis hat.

Rechtsgrundlagen

Das Europäische Nachlasszeugnis ist im Kapitel VI. der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) geregelt. Ergänzend gelten die Regelungen des FamFG und des GVG. 

Zweck des Europäischen Nachlasszeugnisses

Das Europäische Nachlasszeugnis dient zum Nachweis der Rechte des Erben oder eines unmittelbar am Nachlass beteiligten Vermächtnisnehmers, Art. 63 Abs. 1 EuErbVO. Darüber hinaus dient es auch einem Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter dazu, den Nachweis seiner Rechte zu führen, Art. 63 Abs. 1 EuErbVO. Durch das Zeugnis kann z.B. ausweisen

  • das Erbrecht des Erben und seine Quote,
  • den unmittelbar am Nachlass beteiligten Vermächtnisnehmer (Vindikationslegat) und seinen Anteil am Nachlass,
  • die Zuweisung eines bestimmten Vermögenswertes oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an einen Erben oder Vermächtnisnehmer und
  • die Befugnisse eines Testamentsvollstreckers oder Nachlassverwalters. 

Die Erhöhung des Ehegattenerbteils nach § 1371 Abs. 1 BGB ist im Europäischen Nachlasszeugnis auszuweisen (EuGH, Urteil vom 01.03.2018, Rechtssache C-558/16). 

Die Verwendung des Europäischen Nachlasszeugnis ist nicht verpflichtend (Art. 62 Abs. 2 EuErbVO) und es tritt nicht an die Stelle des Erbscheins (vgl. Art. 62 Abs. 3 EuErbVO). 

Wichtig: Ein Mitgliedsstaat im Sinne der EuErbVO (z.B. Spanien) oder Drittstaat (Schweiz) kann auchweiterhin einen Erbschein bzw. ein Testamentsvollstreckerzeugnis anerkennen. 

Auch wenn es in der Regel bei internationalen Erbfällen beantragt werden wird, so hat es doch nicht etwa nur Wirkungen im Ausland, sondern auch in Deutschland, vgl. Art. 62 Abs. 3 EuErbVO.

Behörden und Gerichte der Mitgliedsstaaten sind bei Vorlage des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht befugt, die Vorlage anderer Dokumente zu verlangen (Erwägungsgrund 69 EuErbVO). 

Zuständigkeit für die Erteilung des Nachlasszeugnisses

Das Europäischen Nachlasszeugnis wird in dem Mitgliedstaat ausgestellt, dessen Gerichte nach den Artikeln 4, 7, 10 oder 11 EuErbVO zuständig sind. Siehe hierzu auch den Beitrag Zuständiges Gericht im internationalen Erbfall. 

Örtlich zuständig ist im Grundsatz das Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 343 FamFG). 

Sachlich zuständig ist das Amtsgericht, Abteilung Nachlassgericht (§ 2353 BGB, § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG).

Antrag auf ein Europäisches Nachlasszeugnis

Form

Das Europäische Nachlasszeugnis wird auf Antrag erteilt, Art. 65 EuErbVO. Der Antrag kann mittels des Formblattes IV (siehe Anhang 4 zur DVO) erfolgen. Es gibt aber keine Pflicht zur Verwendung des Formblattes (EuGH, Urt. v. 17. 1. 2019 – Rs. C-102/18).

Der Antrag muss nicht beurkundet werden. Allerdings hat der Antragsteller gemäß § 36 IntErbRVG an Eides Statt zu erklären, dass ihm nichts bekannt ist, was der Richtigkeit seiner Angaben entgegensteht (wofür eine Beurkundung erforderlich ist).

Antragsberechtigung

Antragsberechtigt sind insbesondere

Vermächtnisnehmer haben nur dann ein Antragsrecht, wenn sie eine unmittelbare Berechtigung am Nachlass haben, Artt. 65 Abs. 1, 63 Abs. 1 EuErbVO. 

Inhalt

Der Antrag muss die in Art. 65 Abs. 3 EuErbVO bestimmten Angaben enthalten. Die Angaben sind nur erforderlich, soweit diese dem Antragsteller bekannt sind und soweit sie von der Ausstellungsbehörde zur Beschreibung des Sachverhalts, dessen Bestätigung der Antragsteller begehrt, benötigt werden, Art. 65 Abs. 3. In jedem Fall muss der Zweck angegeben werden, der mit dem Europäischen Nachlasszeugnis verfolgt wird, Art. 65 Abs. 3 lit. f). Dieser bestimmt letztlich, welche Angaben das Zeugnis beinhalten muss. 

Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses

Die Ausstellungsbehörde stellt das Europäische Nachlasszeugnis unverzüglich aus, wenn der zu bescheinigende Sachverhalt feststeht. Die Ausstellungsbehörde, d.h. in Deutschland das Nachlassgericht, überprüft die vom Antragsteller übermittelten Angaben, Erklärungen, Schriftstücke und sonstigen Nachweise. Ferner ermittelt es von Amts wegen den Sachverhalt weiter aus, wenn das nach der lex fori anwendbare nationale Recht dies zulässt (Art. 66 Abs. 1 EuErbVO). In Deutschland ist dies gemäß § 26 FamFG (Amtsermittlungsgrundsatz) zulässig. 

Die Ausstellungsbehörde unternimmt alle erforderlichen Schritte, um die Berechtigten von der Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses zu unterrichten. Sie hört außerdem jeden Beteiligten (vgl. § 37 IntErbRVG), Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter an. Ferner gibt die Ausstellungsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung anderen möglichen Berechtigten Gelegenheit, ihre Rechte geltend zu machen (Art. 66 EuErbVO). Berechtigte in diesem Sinne sind

  • Erben,
  • Vermächtnisnehmer sowie
  • Pflichtteilsberechtigte (Erwägungsgrund 47 EuErbVO).

Keine Ausstellung bei anhängigen Einwänden

Nach Art. 67 Abs. 1 S. 3 lit. a EuErbVO stellt das Gericht das Zeugnis insbesondere nicht aus, wenn

  • Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig sind oder
  • das Zeugnis mit einer Entscheidung zum selben Sachverhalt nicht vereinbar wäre.

"Einwände" in diesem Sinne können sich auf die zur Begründung des Antrags gemachten Angaben (zum Beispiel die Wirksamkeit eines vorgelegten Dokuments) oder aber auch auf die zu bescheinigende Rechtsstellung, Rechte und Befugnisse beziehen.

Was "Einwände" im Sinne von Art. 67 Abs. 1 Satz 3 lit. a EuErbVO sind, ist umstritten:

  • Teilweise wird vertreten, dass das Europäische Nachlasszeugnis nur ausgestellt werden darf, wenn kein Verfahrensbeteiligter dem Antrag des Antragstellers widerspricht. Hingegen soll im Beschwerdeverfahren gemäß Art. 72 Abs. 1 EuErbVO das Nachlasszeugnis trotz entgegenstehender Einwände eines Verfahrensbeteiligten ausgestellt werden können. 
  • Nach anderer Auffassung sind "Einwände" nur solche, die in einem anderen Verfahren anhängig sind. Einwände, die ein Berechtigter unmittelbar gegenüber der Ausstellungsbehörde geltend macht, sollen hingegen die Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht hindern (siehe z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.12.2020 – 8 W 342/20 m.w.N.). 

Nach unserer Auffassung führt jeder Einwand in dem Verfahren zur Verweigerung der Erteilung des Europäischen Nachlasszeugnisses durch das Nachlassgericht. Auf Beschwerde kann aber sodann das Beschwerdegericht das Europäische Nachlasszeugnis erteilen. Hierfür spricht insbesondere die englische Sprachfassung („if […] the elements to be certified are being challenged“). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in vielen Mitgliedsstaaten (z.B. Spanien) das Verfahren durch einen Notar und nicht ein Gericht geführt wird und nach deren Recht Notare vor Inkrafttreten der EuErbVO nur in nicht-streitigen Verfahren Erbbescheinigungen erteilt haben. Es ist nicht anzunehmen, dass sich dies ändern sollte, zumal solche Notare auf die Durchführung von Streitverfahren nicht eingerichtet sind. Aus der Regelung des Art. 66 EuErbVO kann auch nicht auf die Auslegung von Art. 67 EuErbVO geschlossen werden. Vielmehr muss es mangels eines ersichtlichen Willens des Gesetzgebers beim Grundsatz der einheitlichen Auslegung in den Mitgliedsstaaten bleiben. Wenn mit einem Einwand zu rechnen ist, kann sogleich eine andere Verfahrensart gewählt werden oder, nach Verweigerung der Ausstellung, Beschwerde eingelegt werden.  

Beschwerde

Entscheidungen der Ausstellungsbehörde können von einer Person, die berechtigt ist, ein Zeugnis zu beantragen, durch Beschwerde angefochten werden. Nach überwiegender Meinung kann das Beschwerde-Gericht über die Einwände „streitig“ entscheiden.

Wirkungen des Europäischen Nachlasszeugnisses

Das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedsstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf, Artikel 69 Abs. 1 EuErbVO. Es wird vermutet, dass das Zeugnis richtig ist, Art. 69 Abs. 2 EuErbVO (Richtigkeitsvermutung). Insbesondere wird vermutet, dass

  • die im Nachlasszeugnis als solche bezeichnete Person Erbe bzw. Vermächtnisnehmer ist,
  • die Befugnisse eines  Testamentsvollstreckers oder Nachlassverwalters nur den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen.

Die Vermutung ist widerlegbar (OLG München, Beschluss vom 29.09.2020, Aktenzeichen: 34 Wx 236/20). 

Leistungen an eine im Zeugnis als Empfangsbefugt ausgewiesene Person haben schuldbefreiende Wirkung, Art. 69 Abs. 3 EuErbVO.

Eine gutgläubige Person kann auf das Europäische Nachlasszeugnis vertrauen. Bösgläubig ist, wer Kenntnis von der Unrichtigkeit des Zeugnisses hatte oder infolge grober Fahrlässigkeit keine Kenntnis hat.

Das Zeugnis stellt ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats dar, Art. 69 Abs. 5 EuErbVO.

Hinweis: Die Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register kann aber von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden, vgl. Artikels 1 Absatz 2 Buchstaben l EuErbVO. Daher kann z.B. für die Eintragung ins das spanische Eigentumsregister (registro de la propiedad) weiterhin eine notarielle Erbschaftsannahme (aceptación notarial de herencia herencia) verlangt werden. 

Wirkungsdauer des Europäischen Nachlasszeugnisses

Die Wirkungen treten nur bei Vorlage einer wirksamen Abschrift des Nachlasszeugnisses ein. Diese sind nur 6 Monate gültig, wenn nicht ausnahmsweise eine längere Wirkung angeordnet wurde, Art. 70 Nr. 3 EuErbVO. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss eine Verlängerung der Gültigkeitsfrist beantragt werden. Es genügt, wenn die Gültigkeit bei Antragstellung bestand (EuGH, Urteil vom 1.7.2021 – C-301/20 ). 

Hinweis: Erfahrungsgemäß dauern internationale Nachlassabwicklungen länger als 6 Monate. Daher sollte stets Verlängerungsantrag gestellt werden.

Widerruf und Änderung des Europäischen Nachlasszeugnisses

Nach Art. 71 Abs. 2 EuErbVO, § 38 IntErbRVG kann das Nachlassgericht auf Verlangen jedweder Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, oder von Amts wegen, ein unrichtiges Europäisches Nachlasszeugnis widerrufen oder ändern.  

Eine Einziehung oder Kraftloserklärung wie beim deutschen Erbschein ist daneben nicht möglich. Zulässig ist neben dem Widerruf nach Art. 73 EuErbVO aber eine Aussetzung der Wirkungen des europäischen Nachlasszeugnisses bis zur Änderung oder dem Widerruf. 

Kosten der Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

Die Kosten des Notars und/oder Nachlassgerichts ergeben sich aus dem Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare (Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG). Dabei kommt es in der Regel auf den Netto-Nachlasswert an, § 40 GNotKG. Regelmäßig fallen zwei (2) Gebühren (eine Gebühr für die Versicherung an Eides Statt und eine Gebühr für die Erteilung des Erbscheins). Der Wert einer Gebühr ist der Tabelle B zu entnehmen. 

Beispiel: Bei einem Nachlasswert von über EUR 1 Million ist der Wert einer Gebühr z.B. EUR 1.815,--, d.h. es fallen insgesamt EUR 3.630,-- an Gebühren an.

Wird ein Rechtsanwalt mit der Vertretung in dem Verfahren beauftragt, fällt außerdem zusätzlich eine Vergütung an, welche die gesetzliche Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nicht unterschreiten darf. In der Regel fallen 1,3 Verfahrensgebühren an. Der Gegenstandswert ist in der Regel der Anteil des Erben am Netto-Nachlass.

Hinweis: In einfachen Verfahren zur Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist anwaltliche Vertretung nicht erforderlich. Die Beauftragung eines Anwaltes empfiehlt sich aber, wenn die Rechtslage nicht eindeutig ist (z.B. weil eine Testamentsauslegung erforderlich ist) oder wenn ausländisches Recht möglicherweise anzuwenden ist (siehe hierzu Beitrag Anwendbares Erbrecht nach der Europäischen Erbrechtsverordnung). 

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